Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
16.09.2013

Staatliche Sonderrechte und das Arbeitsrecht der “Optionskommune”

“Optionskommune” ist einer der nie aufgestellten, würdigen Kandidaten für das Unwort des Jahres. Optionsbefristungen gibt es so natürlich nicht, obwohl das Wort seinen Charme hat, zweifellos.

Als das Bundesarbeitsgericht letzte Woche entschied (Urteil vom 11. September 2013 – 7 AZR 107/12), dass im Fall einer solchen „Optionskommune“ die Befristung von Arbeitsverträgen nicht zulässig sei, hat das kaum jemand gemerkt. Die Überschrift „Optionskommune“ ist schon zu abschreckend. Die Entscheidung berührt aber – obwohl sie nur eine Befristungskontrolle betrifft – erstaunlich tiefliegende Saiten im dicken Rechtskörper des Arbeitsrechts.

Die Befristung von Arbeitsverträgen, wenn sie nicht in den engen Grenzen gesetzlicher Sonderregeln (wie § 14 Abs. 2 TzBfG oder § 2 WissZeitVG) stattfindet, muss einen „sachlichen Grund“ haben. Er wiederum muss vom Arbeitgeber belegt werden, wenn es vor Gericht geht. Teil dieses Belegs ist dabei die Darlegung einer sogenannten Prognoseentscheidung. Die Frage lautet

Konntest Du bei Unterschrift unter den Arbeitsvertrag genau sagen, die Arbeit würde zum Ende des Vertrags nicht mehr gebraucht, und wenn ja, warum hast Du das so prognostiziert?

Die möglichen Antworten erinnern an die strafrechtlichen Unterschiede zwischen bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit.

Antwort 1: Ich bin davon ausgegangen [Unschuldsversion: „es war davon auszugehen“], dass wir bis zum Ende fertig werden würden. Wenn ich ehrlich bin, kann man so etwas aber nicht zwei Jahre exakt vorausplanen, ich war mir also nicht ganz sicher.

oder

Antwort 2: Das war keine Sache: Maria hatte nur bis Jahresmitte Elternzeit und klar gesagt, sie käme wieder. Für ihre Vertretung war danach kein Platz mehr.

Mit Antwort 1, die in statistisch-gefühlt  90% der (meiner) Befristungsfälle gegeben wird, landen Sie in der Verlustzone: Der Vertrag war unbefristet, denn die Unsicherheit über künftige Entwicklungen reicht für eine Befristung nicht aus. Genau das sagt die Antwort aber.

Bis hierher nichts Neues.

Was das BAG nun (aus Niedersachsen) bekam, war ein befristeter Vertrag in einer Kommune, die dafür optieren konnte, die Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit in der sog. Grundsicherung selbst in die Hand zu nehmen. Optionskommune eben. Hartz bei der Gemeinde, sozusagen.

Das Modell was so kompliziert, dass man es als Experiment angelegt hatte, gesetzlich befristet. Zwischendrein platzte das Bundesverfassungsgericht. Es zerschoss das Gesetz, weil es die vom GG vorgegebene Gliederung von Bund, Ländern und Gemeinden verletzte. Das Gesetz (das SGB II) wurde nachgebessert. Am 31.12.2010 sollte aber auch danach endgültig Schluss sein („alte“ Rechtslage), mit der Experimental-Evaluierung. Schließlich entschied man sich dann aber doch, den betroffenen Kommunen – im letzten Augenblick – die Fortführung der Tätigkeiten unbefristet auch weiterhin zu erlauben („neue Rechtslage“).

Der deshalb, in Ansehung der „alten“ Rechtslage, bis 31.12.2010 befristete Arbeitsvertrag war, meint das BAG wenig überraschend, nicht wirksam befristet. Denn die chaotische Gesetzgebung und die Auf und Abs, die daraus für das Schicksal der Optionskommune folgten, seien eben nur eine Unsicherheit: Ein Ende der Arbeit habe sich zum 31.12.2010 einfach nicht einwandfrei prognostizieren lassen.

Interessant ist daran die Berufungsentscheidung aus Niedersachsen, die das Gegenteil vertreten hatte. Und genau das lässt aufhorchen, denn der Pfad der Befristung ist so ausgetreten, dass es solche Abweichungen eher selten gibt. Was war also geschehen?

Das Urteil des LAG vom 6.12.2012 – 11 Sa 802/11 hatte eine entscheidende Überlegung angestellt, die eingehend gelesen werden will. Zunächst die chaotische Ausgangssituation::

Am 20. Dezember 2007 verkündete das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung, wonach…die Bildung von Arbeitsgemeinschaften nicht ausreichend verfassungsrechtlich abgesichert war. Ab diesem Zeitpunkt war bekannt, dass eine gesetzliche Neuregelung zu erfolgen hat…Zumindest seit November 2008 war davon auszugehen, dass die Mehrheit der Arbeit- und Sozialminister der Länder eine Beibehaltung des Optionsmodells befürworteten.

Daraus folgt dann diese Bewertung

Die geschilderte Problematik macht…deutlich, dass für die Beurteilung der Rechtsfrage einer wirksamen Befristung nicht entscheidend darauf abgestellt werden kann, im Wege der Rechtskontrolle den Grad an Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlichkeit politischer Entscheidungsprozesse zu bewerten…Die gesetzliche Grundlage der Übertragung der Aufgabe auf den Beklagten war gesetzlich unzweifelhaft in ihrer Wirksamkeit begrenzt auf den 31. Dezember 2010. Damit stand zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses eindeutig fest, dass der Beklagte bei unveränderter Rechtslage ab dem 1. Januar 2011 die ihm zusätzlich übertragene Aufgabe der Arbeitsvermittlung nicht mehr würde wahrnehmen dürfen. Der Beklagte hatte, wie auch alle anderen Optionskommunen, keinerlei unmittelbaren Einfluss darauf, ob, wann und in welcher Weise der Deutsche Bundestag und Bundesrat darüber entscheiden würden, das Modell der kommunalen Trägerschaft fortzusetzen.

Hervorhebungen von uns.

Die Unvorhersehbarkeit politischer Entscheidungen – das ist bzw. war eine Überlegung wert. Man wusste nicht, ob die Optionskommune politisch überleben würde. Also soll eine Befristung gerechtfertigt sein?

Das LAG war mutig und hat damit einen tiefschürfenden Gedanken geäußert. Denn natürlich wirken politische Prozesse anders als wirtschaftliche – und Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst werden auch aus öffentlichen Geldern bezahlt. § 14 Abs. 1 Nr. 7 TzBfG enthält einen artverwandten Gedanken. Wer aus „Haushaltsmitteln“ befristet finanziert wird, dessen Arbeitsvertrag kann wirksam befristet werden. Haushaltsmittel kommen auch vom Gesetzgeber und da kommt man ins Nachdenken: Nur durch befristete Finanzierung kann die öffentliche Hand sich einen Befristungsgrund schaffen, den es in der Privatwirtschaft qua Natur nicht geben kann? Nein, diese Vorschrift zum Arbeitgeber, der sich selbst seinen Befristungsgrund schafft, wird kaum mehr angewandt, seit die Rechtsprechung ihn aus Gründen der Gleichbehandlung gestutzt hat.

Warum also ein Privileg für „politische Entscheidungsprozesse“ schaffen?

Dass sich das BAG abermals gegen eine Privilegierung der öffentlichen Hand ausgesprochen hat, ist auf dem bisherigen Weg als konsequent und notwendig nicht sehr verwunderlich. Aber warum soll es ein solches Privileg eigentlich nicht geben? Wo das Arbeitsrecht so restriktiv ist, dass oft nur die Wahl zwischen Befristung und Job bis zur Rente bleibt, rechtfertigt da nicht alleine der Umstand, dass Steuergelder verwendet werden, ein Privileg? Sind die Steuern, die der Unternehmer U. zahlt, wirklich im Mitarbeiter X besser angelegt, nur, weil der Staat für ihn zwar kein Geld und vielleicht auch keine Arbeit (mehr) hat, das alles aber keine „Prognose“ ergibt – nach dem Motto, warum soll es öffentlichen besser ergehen als U? Oder wäre U nicht froh, wenn der Staat flexibel –und vielleicht flexibler noch als er selbst – reagieren könnte auf die Haushaltslage? Und wäre der Staat nicht dann auch in der Lage, Geld z.B. in Anreize zu stecken, das richtige und dringend benötigte Personal anzuwerben?

Man muss nicht gleich „Amerika“ schrei(b)en, wo die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes (oft mehr gepampert als hier) schlicht nach Hause gehen, wenn der Staat die Schuldengrenze reißt.

Aber ein wenig mehr Privileg für die aus der Gemeinschaft aller Steuerzahler finanzierte Arbeitswelt des öffentlichen Dienstes wäre durchaus erfreulich. Oder wünschenswert. So mag das BAG unser Gerechtigkeitsgefühl befriedigt, seinen Weg richtig fortgesetzt und vor allem den Gleichheitssatz des Grundgesetzes beachtet haben.

Aber innovativer war das Urteil aus Niedersachsen.