Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
19.09.2013

Schwäbische Gedanken zur Kündigung wegen sexueller Belästigung

Die – sexuelle Belästigung – kommt leider vor und es entspricht ständiger Rechtsprechung aller LAGe und des BAG, dass eine sexuelle Belästigung einen Kündigungsgrund „an sich“ im Sinne des § 626 BGB darstellen kann. Kein Wunder also, wenn das LAG Baden-Württemberg es genauso sieht – in seinem Urteil vom 17.7.2013 – 13 Sa 141/12. Warum es trotzdem einer kleinen Erwähnung wert ist?

Manchmal mag die Schwierigkeit, die Belästigung selbst im Tatbestand des Urteils darzustellen, journalistisch-voyeuristische Gelüste befriedigen. Nicht so hier, keine Angst, und die Gerichte sind da ziemlich abgebrüht und fähig, auch das Schlimmste nüchtern darzustellen. Aber was fällt Ihnen an dieser Passage des Urteils auf?

Die Beklagte wirft dem Kläger vor, er habe als Teilnehmer an einer Vertriebskonferenz vom 7. bis 9. Februar 2012 in J. S. am 7. Februar 2012 anlässlich eines gemeinsamen Abendessens der Konferenzteilnehmer…den Mitarbeiter einer Tochtergesellschaft der Beklagten, Herrn S…gegen 21:15 Uhr dadurch sexuell belästigt, dass er diesen…auf dem Weg zur Toilette zunächst mit der Hand in der Magengegend angefasst und dann auf dem Rückweg von hinten mit den Armen auf Höhe der Magengegend umschlungen und sich an ihn gepresst habe. Letzteres habe Herrn C. angewidert und abgestoßen, weshalb er sich einen Monat später mit einer E-Mail vom 7. März 2012…an den Vorgesetzten des Klägers gewandt habe.

Richtig: Hier haben wir eine Abweichung von dem – vermutlich trotzdem richtigen – Klischee „Mann belästigt Frau“. Hier ist die Belästigung gleichgeschlechtlich. Mann/Mann.

Das ist zumindest ungewöhnlich (im Spiegel der Rechtsprechung allemal). Einsteigen kann man jetzt in eine Betrachtung, wie hoch die soziale Reizschwelle bei der „klassischen“ sexuellen Belästigung (Mann/Frau) gegenüber gleichgeschlechtlicher Belästigung ist. Zur Verdeutlichung: Hier hat jemand einer anderen Person unvermittelt die Hand auf den Bauch gelegt, ihn umarmt und sich an ihn gepresst. Die Beobachtung der Vorinstanz (ArbG Heilbronn) dazu (vom Berufungsurteil wiedergegeben):

Es falle bereits schwer, das Berühren von Herrn C. in der Magengegend als sexuelle Handlung einzustufen.

Nur: Was soll es sonst sein, wann haben Sie das letzte Mal außerhalb einer U-Bahn jemanden in der Magengegend berührt? Und: Hätte das Arbeitsgericht das genauso gesehen, wenn das Opfer eine Frau und der Täter ein Mann wäre? Das LAG hat sich auch nicht leicht getan mit der „Sozialadäquanz“ des Verhaltens, sogar wenn es um das Heranpressen geht:

Wenn man aber, mit den ausführlichen Überlegungen der Beklagten hierzu, einen sexuellen Bezug der Belästigung annehmen wollte, wäre diese von einem so geringen Ausmaß und geringer Schwere, dass als verhältnismäßige Reaktion der Beklagten der Ausspruch einer außerordentlichen oder ordentlichen Kündigung ohne vorangegangene Abmahnung nicht in Betracht kommt.

Machen wir also in der Rechtsprechung unbewusst Unterschiede zwischen den Geschlechtergruppen? Wären diese Unterschiede gerechtfertigt? Das wäre doch einmal ein kleines Forschungsprojekt…