Anton Schlecker – dessen nach ihm benanntes Unternehmen nun Inolvenz anmelden wird – ist einer der großen schwäbischen Patriarchen und ein Name, der (in blaue Buchstaben eines 70er Schriftzugs gekleidet) in jedem Haushalt in Deutschland eine wirkliche „Marke“ ist. Überhaupt die 70er: Da schien Schlecker stehen geblieben zu sein, vor allem in Bezug auf das Corporate Design, das längst wie eine Fusion aus Sozialpalast Berlin und der Stuttgarter Staatsgalerie wirkte, als das neue Jahrtausend anbrach. Das passte historisch, denn 1974 eröffnete ja auch der erste Schlecker-Drogeriemarkt im schönen Kirchheim an der Teck. Im psychedelischen Zeitalter der orangen Tapeten mit grünen Kreisen mag das modern gewirkt haben. Anders als viele schwäbische Errungenschaften von Daimler bis Wüstenrot Bausparen ist „Schlecker“ aber ein imagemäßiges Schuddelchen geblieben. Augenfällig war das im zurückliegenden Jahrzehnt beim Arbeitsrecht.
Schlecker ist eines der arbeitsrechtlichen Phänomene überhaupt:
In den letzten Jahren dachten viele Menschen beim blauen Logo an Arbeitszeit, Minijob, Arbeitnehmerüberlassung und Lohndumping, (um hier auch mal ein gewerkschaftliches Schlagwort zu adeln), wahlweise auch an Überwachung (von Mitarbeitern) oder häufige Überfälle auf Filialen (die manche Beobachter den Sicherheitskonzepten zuschreiben, besser,deren Abwesenheit).
Schlecker war Klassenkampf. Fast atemberaubend: Nicht die Gewerkschaften haben das so gewollt – sie sind ersichtlich reingeschlittert. Wie sehr muss man schließlich Feuer geben, um eine volles Drittel der Mitarbeiter zu ver.di zu treiben – bei einer Belegschaft aus Minijobbern, die sich für gewöhnlich für Arbeitnehmervertretung kaum interessieren, ist das eine auffallend hohe Bindung, die mehr Anlass zum Stirnrunzeln als zu eitler Gewerkschaftsfreude sein darf. Ausgelöst wurde das alles durch die absurd-“harte“ Haltung zum Thema „Arbeitsrecht“, für die vor allem der Patriarch Schlecker stand.
Da Herr Schlecker kein besonders öffentlicher Mensch ist, weiß man nicht so recht, was er wirklich von Arbeitsrecht denkt oder weiß. Man ist aber auf der sicheren Seite, wenn man annimmt, dass er das Arbeitsrecht als seinen natürlichen Feind betrachtete. Innovativ wusste er es zu missbrauchen. Die Bildung von Betriebsräten wurde durch eine Parzellenstruktur von Kleinstbetrieben verhindert, Leitungsstrukturen nach Kriterien gebildete, die das Betriebsverfassungsrecht möglichst stark beschnitten; und dann waren da die aufwändigen Innovationen nach der Art der Drehtür (Kündigung und Wiedereinstellung als Leiharbeiter), was den zweifelhaften Ruhm bewirkte, dass sich ein schwarz geführtes Ministerium veranlasst sah, Hand an das AÜG zu legen und nicht zu widersprechen, als man das „Lex Schlecker“ nannte.
Der tiefste Tiefpunkt im Kapitel arbeitsrechtlicher Anekdoten ist auch ein juristischer Tiefpunkt und spielte schon beim Landgericht Stuttgart im Jahr 1998. Heute fast vergessen: Das Ehepaar Schlecker bekam vom Landgericht Stuttgart damals einen Strafbefehl bestätigt, der sie zu 10 Monaten auf Bewährung wegen Betrugs verurteilte – mit der wirklich skurril-absurden Begründung, sie hätten den Mitarbeitern vorgetäuscht, Tariflohn zu zahlen, was aber nicht stimmte. Also, so das Landgericht, ein Betrug. Wenn man sich auch die Augen reibt und fragt, wie man über etwas täuschen kann, das jeder Getäuschte mit einem Gewerkschaftssekretär an der Hand entlarven kann, ist das zwar berechtigt; soweit es um Schlecker geht, muss man aber eine soziologische Frage stellen: Wie sehr muss man eine Strafjustiz provozieren durch seine Dreistigkeit, dass die mit kaum verhohlener Kurzatmigkeit um jeden Preis ein Exempel statuieren will? Ziemlich stark (wir lassen mal außen vor, wie man es bewerten muss, dass sich die Justiz provozieren lässt).
Für Schlecker waren Arbeitnehmer vor allem Kosten. Das sind sie allerdings für jedes Unternehmen, der Blickwinkel ist auch nicht verwerflich. Da muss noch mehr gewesen sein, etwas Emotionales, Antipathisches. Man kann von Unternehmern nicht verlangen, dass sie ihre Arbeiter lieben, nach dem Motto, werdet doch alle eine Familie. Sicher.
Andererseits funktionieren Unternehmen notgedrungen rational. Wer also nicht gegen die Wölfe heulen kann, muss eben mit ihnen heulen. Nur lauter. In Rechtsstaaten kann man sich deshalb durch Rechtsbruch dauerhaft nie einen Vorteil verschaffen. Wer das Arbeitsrecht nicht – widerwillig oder nicht – intelligent nutzt, sondern bricht, wird denselben Schiffbruch erleiden wie der Rechtsbrecher in anderen Bereichen der Rechtsordnung. Heute 80 Mio. in der Schweiz, morgen 5 Jahre Haft wegen Steuerverkürzung. Dass Regeln für alle sind und vor dem Recht niemand gleicher ist als der andere, ist wahrlich kein besonderes Geheimnis.
Anton Schlecker hat es geschafft, seine Antipathie gegen als falsch empfundene Regeln derart obszessiv auszuleben, dass er gar nicht auf die Idee gekommen ist, das Richtige zu tun. Im deutschen Arbeitsrecht wimmelt es von Unsinn, Wirtschaftsfeindlichkeit, annähernd schwachsinnigen Willkürentscheidungen von Behörden, Gerichten und Politikern…aber man darf durchaus politische Lobbyarbeit machen, in Arbeitgeberverbänden aktiv sein, Einfluss nehmen – zumal als Milliardär – und an diesen Baustellen arbeiten. Einfach drauf spucken – sieht nicht einmal cool aus. Viel weniger noch, wenn der Konkurrent mit dem vierfachen Umsatz (dm) durch seinen Chef in Talkshows geradezu süffisant verbreiten lässt, er stelle auch und gerade Schwangere ein. Wer den PR-Preis davon trägt, ist nicht erklärungsbedürftig.
Obsessionen sind ungesund.
Dass ein Kunde gerade eine Drogerie gerne sauber und hell hat, vergisst man dann schon mal leicht, wenn die Lohnerhöhung auf 3,99 €/Stunde wieder mal schlaflose Nächte kostet (Ehre, wem Ehre gebührt: Wesentlich weniger als 7 € / Stunde waren es in den letzten Jahren meist nicht, alle Tricks mal beiseite gelassen). Dass der Kunde freundliches Personal schätzt, ist im Einzelhandel, sagen wir mal, kein Fachwissen, dass sich über die Grenzen der Harvard Business School oder der LSE noch nicht verbreitet hätte. Pampig und ungewaschen geht als Monopolist, aber seit der Zeit der notorischen HO zwischen Elbe und Oder ist das mit dem Monopol ja so eine Sache. Immer billiger ist durchaus nett, aber als Konzept schwach, wenn die anderen, hellen, sauberen und freundlicheren gleich billig oder noch billiger sind. Bliebe die Frage, wie man die Arbeitnehmer eigentlich dazu bringt, endlich freundlich zu schauen. Dass rechtmäßige und faire Behandlung keine hinreichende, aber eine notwendige Bedingung dafür ist, darüber wird Schlecker vermutlich nie mehr nachdenken, in der Vergangenheit kam ihm der Gedanke jedenfalls evident nicht.
Aus Anton Schleckers Sicht ist er bei dieser Historie sicher der Meinung, ein Opfer des unternehmerfeindlichen Arbeitsrechts zu sein, das ihn stranguliert habe. Und natürlich ein Opfer der Gewerkschaft ver.di. Tragisch. Falsch. Hanebüchen.
Schlecker war eine Marke geworden, die man meidet, schreibt Oliver Stock im Handelsblatt. Das gilt für alle Marktteilnehmer. Schlecker kehrten nicht nur Kunden den Rücken, sondern auch Mitarbeiter hielt es dort nur, wenn es wirklich gar keine Alternativen gab. So ist Schlecker eben kein Opfer des Arbeitsrechts geworden. Er ist eines der Marktwirtschaft. Ein Unternehmen, das für niemanden attraktiv ist, kann unter Marktbedingungen nicht überleben. Das gelingt eben nur im Subventionsstaat. Das Opfer ist ein richtiges. Einzelhändler, die Mitarbeiter und Kunden gleichermaßen unglücklich machen, sind – überflüssig.
(Liebe Rossmänner, dm und Konsorten. Wenn Ihr Euch jetzt für echt adelig haltet, schaut mal über den Ärmelkanal. Bis Ihr so ausseht wie Boots, Tescos, Superdrug etc. fließt noch ein bisschen Wasser die Themse runter. Also nicht auf den unverdienten Lorbeeren ausruhen…)