Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
01.06.2012

Schlecker: Kündigungsschutzklage erhoben, Würde behalten, Job verloren

Endgültiges Aus für Schlecker: Das ist die Wirtschaftsmeldung des Tages.

Und es ist wirklich eine Tragödie, denn das „Aus“ bedeutet die betriebliche Abwicklung, die endgültige Stilllegung des Betriebs. Den hatte der Insolvenzverwalter, was ja wegen des schwer verständlichen rechtlichen Hintergrunds immer wieder für Verwirrungen in der Öffentlichkeit sorgt, eben bislang aufrecht erhalten. Das ist nun zu Ende. Weil für die verbliebenen Stücke kein Käufer zu finden war, muss nun dicht gemacht, der Rest versilbert und das bisschen, was dabei herauskommt, unter den Gläubigern verteilt werden.

Tragödie?

Ja, für die Mitarbeiter/innen (es sind fast ausschließlich Frauen), von denen die restlichen ca. 14.000 ihren Job endgültig verlieren. Die Entscheidung, den Betrieb endgültig einzustellen, ist eine gerichtlich praktisch unanfechtbare Kündigungsgrundlage. Die betriebsbedingten Kündigungen sind klar wie Kloßbrühe, in solchen Fällen: Bei Betriebseinstellungen fallen alle Arbeitsplätze weg. Da kann kein Arbeitsgericht helfen.

Dass ein Unternehmen auch unter dem Schutz des Insolvenzrechts nicht gerettet werden kann, ist nicht selten. Auf einen einzelnen Grund ist das selten zurückzuführen. Über die Fehler im Schlecker-Konzept ist reichlich geschrieben worden, und mit Sicherheit kann niemand sagen, ob in Deutschland derzeit Platz für eine Drogeriekette neben Müller, Rossmann und dm wäre, die lauter kleine, unattraktive Immobilien zu schlechten Konditionen gemietet und ihre Lieferbeziehungen weitgehend eingebüßt hat.

Einen Grund kann man aber jedenfalls benennen:

Insolvenzverwalter Geiwitz hatte in einem ersten Schritt einen Teil der Filialen geschlossen, um einen sanierungsfähigen Rest zu bekommen. Dagegen gibt es 4.500 Kündigungsschutzklagen bundesweit. Diese Klagen und die daraus resultierenden Risiken müsste ein Investor mitkaufen. Die Risiken sind erheblich. Das Freikaufen durch Abfindungen in solchen Verfahren kostet Geld, dass ein Investor erst einmal mitbringen muss. Wo es nicht funktioniert, müssen eventuell Arbeitnehmer zurückgenommen, Verzugslöhne nachgezahlt und Personalentscheidungen wiederholt werden. Eine ebenso unkalkulierbare wie unfinanzierbare Situation, bei einem Faktor von 4.500.

Man kann den in der ersten Welle gekündigten Arbeitnehmerinnen kaum einen individuellen Vorwurf machen, wenn sie klagen. Nur: Jetzt kriegen sie auch nichts, gar nichts, dafür verlieren die anderen 14.000 allerdings ihren Job auch noch. Manche meinen, das sei die Schuld der Politiker, die kein Steuergeld in sog. Transfergesellschaften stecken wollten. Das ist natürlich eine einfache Schuldzuweisung. Eine Transfergesellschaft ist kein Jobretter, sondern eine verlängerte Kündigung. Die bittere Wahrheit ist: Hätten die 4500 Mitarbeiterinnen auf ihre wirtschaftlich ohnehin unsinnigen Klagen verzichtet, hätte der Rest eine Chance bekommen. Jetzt gibt es nur Opfer. Das ist wirklich tragisch.

Frank Bsirske, dem ver.di-Chef, fällt dazu im Stern auch etwas ein:

Verdi-Chef Bsirske sieht immerhin einen positiven Nebeneffekt der Rettungsbemühungen: Für die Gewerkschaft sei es gut, “dass Frauen ihr Recht in die Hände genommen und ihre Würde behauptet haben”.

Mit Verlaub: Das ist wirklich zynisch. Das sträubt sich dem Leser alles:

Eine Kündigungsschutzklage gegen eine nachvollziehbare betriebsbedingte Kündigung hat fast nichts mit Würde, aber sehr viel mit wirtschaftlicher Kalkulation zu tun – wieviel Abfindung kann ich bekommen, welches Zeugnis? Da fast alle Kündigungsschutzklagen mit einem Vergleich und nicht mit einer Rückkehr ins Unternehmen enden, kann kein Berater, ob Anwalt oder Gewerkschaftssekretär für sich in Anspruch nehmen, mit diesen Einzelheiten nicht vertraut zu sein. Wie gesagt: Mit Würde hat das nichts zu tun. Dass Herr Bsirske jetzt mit dem Finger auf andere zeugt, „die Politik“, „den Unternehmer“, „die Gläubiger“ – das ist ziemlich erbärmlich.

4.500 Leute zu überzeugen, nicht gegen ihre Kündigung zu klagen – zu viel verlangt? Würdelos? Zynisch? Kalt?

Quatsch.

Die 4.500 hätten für ihre Solidarität keinen hohen Preis zahlen müssen. Das jedenfalls steht jetzt fest. Schlecker ist irgendwie doch noch ein Opfer des Arbeitsrechts geworden.