Rechtsgutachten – abstrakte dazu – sollen Gerichte nicht schreiben. Das steht nicht im Gesetz, ist aber trotzdem so. Zur Klärung abstrakter Rechtsfragen fehlt Klagen und Anträgen ein Rechtsschutzbedürfnis; ein Urteil etwa hat sich stets auf den betroffenen Einzelfall zu beziehen. In den Schlagzeilen geht das manchmal unter, wenn es z.B. zum Urteil des Arbeitsgerichts Cottbus vom 30. Mai 2013 – 3 Ca 317/13 heißt:
Straftat in erweitertem Führungszeugnis allein kein Kündigungsgrund
(Man kann sich übrigens fragen, warum ein Monate altes Urteil eines Arbeitsgerichts jetzt in die Öffentlichkeit gespült wird. Anderes Thema).
Die Schlagzeile klingt apodiktisch, glasklar, wie eine völlig neue und vor allem absolute Erkenntnis – verbreitet z.B. auf Juraforum.de – und ist doch so irreführend. Diese Irreführungen sind Pressealltag, „Kündigung wegen Facebook-Eintrag zulässig“ heißt nicht, dass jeder unangenehme Facebookeintrag zur Kündigung führen kann. Natürlich nicht! Der Gipfel solcher Meldungen war jüngst Focus Online mit der gewagten Schlagzeile – getextet zu sexueller Belästigung unter Kollegen und den arbeitsrechtlichen Konsequenzen -,
Gerichtsurteil: Ein bisschen Fummeln ist erlaubt
Da könnten sich die falschen animiert fühlen. Ganz wirklich und ich hoffe, alle glauben es mir: Fummeln ist gar nicht erlaubt, schon gar nicht gerichtlich. Einzige Ausnahme: Es geschieht einvernehmlich. Auch dann kann (zu viel) Fummeln allerdings zum Kündigungsfall werden, muss man aber der Ehrlichkeit halber dazu sagen.
Jetzt also Cottbus und das Führungszeugnis.
Sagen wir es mal so: Natürlich ist eine Straftat kein Kündigungsgrund (Schlagzeile). Warum eigentlich nicht? Na, weil es gar keine Kündigungsgründe in einem solchen, absoluten Sinn – Tat begangen, sofort rechtssicher fliegen – gibt. Keine. Es ist immer – stöhnen Sie nicht auf – eine Frage des Einzelfalls. Deshalb ist die Überschrift reißerisch.
Der Fall des Arbeitsgerichts Cottbus ist aber interessant. Und zwar, weil er so langweilig, blutleer und unverständlich ist. Das wollen wir näher betrachten:
Eine Bäderbetrieb – kein Sanitärinstallateur, sondern ein Schwimmbad – stellt A ein, und verlangt eine sog. erweitertes Führungszeugnis. Das macht man z.B., weil in einem Schwimmbad Kinder und fast nur halbnackte Menschen unterschiedlicher Attraktivität herumlaufen; deshalb will man keine Sexualstraftäter oder Spanner, wenn es sich vermeiden lässt.
So ein Ziel zu haben, ist für Arbeitgeber durchaus legitim, mehr oder weniger. Genauso wenig wie (absolute) Kündigungsgründe gibt es Gründe, die man beim Arbeitnehmer vor der Einstellung immer nachfragen darf und die nachher zu schlimmen Konsequenzen wegen eventueller Lügen berechtigen. Es ist eben – eine Frage des Einzelfalls, genau.
In einem Schwimmbad darf man – das wollen wir hier unterstellen – nach bestimmten Vorstrafen fragen und auch ein erweitertes Zeugnis verlangen. Das enthielt hier drei saftige Urteile
„Vorsätzlicher unerlaubter Erwerb von Betäubungsmitteln in 3 Fällen in Tatmehrheit mit vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 2 Fällen…Körperverletzung…Versuchte Körperverletzung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung…“
Der Arbeitgeber kündigte. Die Urteilsbegründung stützt sich auf zwei BAG-Urteile und führt lapidar aus:
Die Beklagte hat ihre außerordentliche Kündigung ausschließlich auf das Vorliegen von drei rechtskräftigen Verurteilungen des Klägers gestützt. Dies ist zur Begründung eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Absatz 1 BGB nicht ausreichend.
Mehr nicht. Die angeführten Urteile des BAG sind – witzigerweise – Beschlussverfahren, also Auseinandersetzungen mit dem Betriebsrat (hier jeweils über Kündigungen seiner Mitglieder). Aber passen wollen sie gar nicht: Im Beschluss vom 16. 9. 1999 – 2 ABR 68/98 gab es ein Verfahren, aber keine rechtskräftige Verurteilung in einer Strafsache (in Cottbus dagegen drei); in der Sache aus dem Folgejahr (Beschluss vom 8. 6. 2000 – 2 ABR 1/00 ) ging es um eine nicht nachgewiesene (!) sexuelle Belästigung. Was das mit dem Cottbusser Fall zu tun hatte, bleibt ein Geheimnis der Cottbusser Richter. Für die Erkenntnis, dass man Tat und Arbeitsvertrag zueinander in Beziehung setzen muss, braucht man sie nicht, aber schön.
Warum nur wurden dann Tat und Arbeit nicht in Beziehung zueinander gesetzt? Denn jede naheliegende Überlegung fehlt: Liegt es nicht auf der Hand, dass man im Schwimmbad bestimmte Straftäter nicht will? Muss man nicht abwägen, ob eine Beschäftigung dennoch zumutbar ist? Und der Arbeitgeber – hat der den ganzen Prozess lang geschwiegen? Kein Wort davon, ob er nach Straftaten gefragt hat, bei der Einstellung – dann wäre ja auch eine Anfechtung in Betracht gekommen. Wegen arglistiger Täuschung. Alles das kommt nicht vor.
Dieses Urteil bleibt ein Mysterium, dessen Wahrheit sich wohl nur – und hoffentlich – den Beteiligten erschließt. Der Prozess muss todlangweilig gewesen sein. Eine „Grundsatzentscheidung“ ist das aber, obwohl die Schlagzeile das suggeriert, nicht. Absolut nicht.
Bis zur nächsten Schlagzeile.
Hier ist die Entscheidung vorgestellt bei Thorsten Blaufelder.