Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
26.03.2012

Richter, umstrukturiert

Gewöhnlich entscheiden Arbeitsrichter über Umstrukturierungen. Meist mild lächelnd gegen den Arbeitgeber, der es ja wieder nicht hinbekommen hat. Erst Freitag wurde bei LAG wieder die Frage hin- und hergewendet, „warum“ man in einem großen Konzern nicht doch noch ein Plätzchen für den Kläger hat. Der Vorsitzenden kann man gute Absicht unterstellen, aber ein paar Jahre in einer Konzernpersonalstelle täten auch gut.

In Brandenburg werden Arbeitsrichter umstrukturiert.

So wurde z.B. das Arbeitsgericht Senftenberg geschlossen. Dessen Direktorin muss nun anderweitig verwendet werden und hat sich mächtig mit dem Ministerium angelegt (berichtet der Tagesspiegel ausführlich). Dem für Justiz, denn in Brandenburg wird die Arbeitsgerichtsbarkeit, anders als in den meisten Bundesländern, nichts vom Arbeits- und Sozialressort verwaltet. Birgit Fohrmann meint angeblich, man wolle sie in die Wüste schicken oder, nun ja, ans Amts- oder gar Sozialgericht. Hartz-IV-Bescheide oder gar Mietklagen und Jugendstraftaten an der polnischen Grenze – nicht gerade Edelgerichtsbarkeit, möchte man aus der heftigen Gegenwehr schließen. Die Betroffene spricht sogar davon, man wolle sie mit der Versetzung in eine andere Gerichtsbarkeit für ihre Meinungen zur Schließung von Senftenberg abstrafen.

Wer dem amtierenden Minister Volkmar Schöneburg politisch nicht gerade nahesteht (nehme ich für mich in Anspruch) und seine Meinungen zu Grenze und Mauerschützenprozess nur mit einer Riesenwut im Bauch zur Kenntnis nehmen kann, könnte in so einer Verschwörungsthese Befriedigung finden. Nur leider – die Umstrukturierung ist eine sachliche Notwendigkeit.

Senftenberg, meint seine Ex-Direktorin, da seien noch die meisten Eingänge aller brandenburgischen Arbeitsgerichte zu verzeichnen gewesen. Ausgerechnet das Gericht…man kennt die Argumente. Sie sind reflexhaft bei allen Umstrukturierungen. Das St.-Florians-Prinzip ist es, dem auch Arbeitsrichter gerne nahestehen („verschon mein Haus, zünd‘ andere an…“). Aber es muss sein: Denn Brandenburg hat zu wenig Richter – aber zu viele Arbeitsrichter. Das ist ein Ergebnis der kündigungsgetränkten 90er und wer wollte schon bestreiten, dass wir hier in der Region der einstigen Massenentlassungen (ich habe als Referendar bei Senftenberg an einem Melkmaschinenwerk „mitgearbeitet“, das vom ca. 5.000 Mitarbeitern innerhalb von 3 Jahren auf Null gefahren wurde) längst auf „Normal“ geschaltet haben. Es gibt nicht mehr so viele Kündigungen. Arbeitsrecht hat sich aus der Fläche wieder zurückgezogen und ist mehr eine Sache für Spezialisten geworden, mit einem erhöhten Beratungsanteil – eben bei Umstrukturierungen oder kollektivrechtlichen Problemen. Mit drei geschriebenen Sätzen eine Vergleichsgebühr verdienen, das war schon vor 10 Jahren nicht mehr so leicht. Also trifft es auch die Arbeitsgerichtsbarkeit.

Derweil erstickt die Sozialgerichtsbarkeit in Hartz IV, wo sie vom Gesetzgeber als Ersatzverwaltung missbraucht wird. Da können wir uns den Luxus kaum leisten, auf Fingerschnipp einen Termin beim Arbeitsgericht zu haben. Den einzigen am Tag manchmal. In der brandenburgischen Fläche.

Wie auch immer der Streit zwischen der Senftenberger Direktorin ausgeht, dass die Arbeitsgerichtsbarkeit in Brandenburg schrumpft, wird also unvermeidlich bleiben. Ich habe das Senftenberger Arbeitsgericht übrigens nie gemocht. Warum? Erstens hatte es lange einen Zugang über ein Einkaufszentrum. Zweitens habe ich – in der Zeit vor Handy und Satellitennavigation – bei meinem ersten Besuch niemanden getroffen, der wusste, wo es ist oder das es das überhaupt gibt. Deshalb ist es auf meiner inneren Landkarte nie wirklich präsent geworden….