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28.09.2010
Personalgespräch im Schwitzkasten- Stechen, Beißen, Schimpfen
Eine zunächst unbeachtete Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg (23.07.2010 - 10 Sa 790/10), deren Gründe jetzt vorliegen, gibt dem Leser einen Einblick in die Sitten im Fuhrgewerbe (oder in den Teil des Fuhrgewerbes, das sich bei Gericht trifft) - nachdem es insoweit um dessen Unterhaltungswert spätestens seit dem “Arschloch-Fall” ganz gut bestellt ist. Es zeigt auch wieder einmal, dass Arbeitsrechtler (und damit auch die Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit) echte Generalisten sein müssen, weil es nichts gibt, dass zu absurd ist, um vor einem Arbeitsgericht durch den Instanzenzug geschleppt zu werden.
Das LAG hatte sich mit dem komplexen Feld des Schmerzensgelds auseinanderzusetzen. Und diesmal ging es nicht um Verbalinjurien. Der Tatbestand des Urteils spricht für sich. Kläger und Geschäftsführer trafen sich, um über ausstehendes Gehalt zu reden. Zunächst begrüßte man sich (Originalzitat aus dem Tatbestand), der Geschäftsführer soll das mit den Worten getan haben:
„Du Hurensohn, ich fick Deine Mutter und ich bringe Dich um”
Das rührte den Kläger wohl nicht, er beharrte auf seinem angeblichen Lohnrückstand. Deshalb, um seinen Standpunkt zu unterstreichen,
“…nahm…der Geschäftsführer der Beklagten den Kläger in den Schwitzkasten, wovon der Kläger nach einem Bericht der Rettungsstelle der E. E. Klinik vom 21. Juli 2009 um 18:34 Uhr eine Distorsion (Prellung, Verstauchung, Verrenkung bzw. Fasereinriss im Bandapparat) der Halswirbelsäule sowie eine oberflächliche Prellung der Jochbeinregion und der Kieferregion davon trug…”
Die Besprechung hatte also keinen optimalen Auftakt. Nun, der Kläger revanchierte sich.
“… In dem Abschlussbericht des Polizeipräsidenten vom 10. September 2009 zur Strafanzeige gegen den Kläger ist ausgeführt, dass der Kläger mit einer auf dem Bürotisch liegenden Schere mehrmals in den Rücken des Geschäftsführers gestochen habe, dass die Klingen aber nicht in den Körper eingedrungen seien, sondern nur kleinere Schnittwunden/ Kratzwunden verursacht hätten…”
Manche haben das sprichwörtliche “dicke Fell”.
Wundern Sie sich gerade, wer hier von wem Schmerzensgeld wollte? Lösen wir später auf, nur nicht ungeduldig werden. Der Geschäftsführer meinte,
“…der Kläger [habe] ihm [zuvor] mit der Faust ins Gesicht geschlagen und in den Finger gebissen…In der Berufungsverhandlung hat der Geschäftsführer der Beklagten diesen Vortrag ergänzt. Er hat darauf hingewiesen, dass die Bisswunde bis auf den Knochen gereicht habe. Er sei mehrfach in ärztlicher Behandlung gewesen und es gebe auch verschiedene medizinische Unterlagen dazu. Er habe etwa drei Monate an der Verletzung des kleinen Fingers laboriert und habe für einen Monat nicht aktiv an den von der Beklagten durchgeführten Umzügen teilnehmen können…”
Weiß scheint der Knochen durch. Die Parteien überlegen hoffentlich gerade, sich für den nächsten Tarrantino-Film engagieren zu lassen.
Tatsächlich gab es offene Gehälter. Der Geschäftsführer wollte deshalb Schmerzensgeld - in der Höhe der Lohnforderung (zwecks Aufrechnung hatte er den Anspruch an die Gesellschaft abgetreten). Das LAG hat ihm das Schmerzensgeld - anders als das Arbeitsgericht - nicht zugesprochen. Das ist, wenn man die obigen Ereignisse in der Reihenfolge des Tatbestands liest, bemerkenswert. Denn die meisten Fragen blieben streitig, die Bisswunde aber nicht. Irgendwie hatte niemand Lust, die Sache so recht aufzuklären, deshalb findet sich auch die eine oder andere Referenz an einen angeblich nicht substantiierten Vortrag (letzte Zuflucht der Richterbank), vor allem aber der versöhnliche Satz:
“…Unabhängig davon, ob es sich beim Befinden des Klägers im Schwitzkasten um eine Notwehrlage oder auch nur um eine vermeintliche Notwehrlage handelte, konnte die Kammer nachvollziehen, dass der Kläger sich aus dieser Lage befreien wollte. Die Kammer hielt es in einer solchen Situation jedenfalls für unbillig, allein wegen der damit verbundenen Genugtuung ein Schmerzensgeld zu Gunsten des Geschäftsführers der Beklagten festzusetzen…”
Ja, das verstehen wir auch. Es gibt einfach Dinge, die sich gerichtlich nicht regeln lassen.