Personalien sind in der Welt der Justiz oft eher eine Marginalie.
Das ist teilweise durchaus gewollt, denn die Spröde des Apparats unterstreicht seine Unabhängigkeit und Neutralität. Glamour oder die Existenz von „Stars“ passen zumindest in die Umgebung der Richterschaft nicht ohne gewisse Quetschungen hinein. Auch persönlichkeitsbedingt ist das vielen Richtern und Richterinnen, die eine sehr einflussreiche und gute Arbeit etwa an Bundesgerichten leisten, vielleicht auch ganz recht so.
Teilweise liegt das vielfache Fehlen einer Personalisierung natürlich auch an der Ungeübtheit des Apparats bei der Öffentlichkeitsarbeit, denn es ist andererseits unbestreitbar, dass Gerichte eben personengebunden sind. Es entscheiden nun einmal in jedem Streitfall Richter/Richterinnen – im Falle von Bundesgerichten sogar maßgeblich für eine ganze Rechtslandschaft.
Deshalb wird zumindest in der Fachwelt auf die personelle Zusammensetzung von Spruchkörpern manches Mal doch genauer geschaut, wie man zuletzt bei der Neuzusammensetzung des 7. Senats des Bundesarbeitsgerichts (zuständig vor allem auch für Befristungsrecht) erleben konnte, an die viele Hoffnungen und ebenso viele Befürchtungen geknüpft waren. Der Konferenz- und Seminarzirkus führt dann, ebenso wie die Fachpresse, schließlich doch zu einer Wahrnehmung, die manchmal bestimmten Einzelpersonen Star-Status verleiht, mit allen dazugehörigen Widersprüchen. Für viele Verfassungsrichter von Herzog bis Papier gilt das ebenso wie z.B. für Joachim Bornkamm , Vorsitzender des I. Zivilsenats am Bundesgerichtshof und damit auch „Mastermind“ des gewerblichen Rechtsschutzes.
Das Bundesarbeitsgericht war stets ein besonders profiliertes Gericht auch in dieser Beziehung, vielleicht, weil seine Entscheidungen zwangsläufig einen viel größeren Adressatenkreis betreffen und interessieren als (z.B.) die Frage, ob ein Metatag eine Markenverletzung darstellen kann. Wir hatten deshalb schon immer „unsere“ offenen und heimlichen Stars. Einer der größten, Klaus Bepler, ist letzte Woche pensioniert worden.
Er war zuletzt der Vorsitzende Richter des 4. Senats. In dessen Zuständigkeit fällt das allgemeine Tarifrecht, und das hat es unbestreitbar in sich.
Bepler hat sich dort von Anfang an als Rebell im besten Sinn betätigt. Gleich nach der Neubesetzung des 4. Senats hat er mit einem (angekündigten) Paukenschlag die sog. „Gleichstellungsabrede“ entsorgt (Urteil des BAG vom 14. 12. 2005 – 4 AZR 536/04). Die sich anschließende Fülle von Urteilen dazu diente vor allem der Verdauung des damit verbundenen Paradigmenwechsels. Eine neue Generation von Arbeitsjuristen muss jetzt mit Begriffen wie „große“ und „kleine dynamische Verweisung“ leben. Die Gestaltung von Arbeitsverträgen hat sich danach fundamental geändert – zugunsten einer letztlich nachvollziehbareren Lösung, wenngleich die Übergangsschmerzen heftig waren. Natürlich sind alle Urteile Kollegialentscheidungen, es ist nicht allein der Vorsitzende, der an ihnen beteiligt ist. An der treibenden Kraft Beplers hat aber nie jemand gezweifelt. Zu Beplers Ansatz als Richter wie Autor gehört stets, dass er sich einfach nicht vorstellen kann, ein als falsch – im Sinne von „rechtlich nicht haltbar“ – befundenes Konzept alleine deshalb zu verteidigen oder zu perpetuieren, weil alle anderen lauthals verkünden, man könne mit dem richtigen, rechtskonformen Ergebnis nicht leben. Das liegt, wie man ohne Übertreibung sagen kann, auch an einem überragenden Intellekt.
Diese Haltung hat auch die größte von ihm angestoßene Revolution geprägt, die Abschaffung des rechtlich absurden Konzepts der „Tarifeinheit“ („ein Betrieb, ein Tarifvertrag“). Trotz einer mehr oder minder offenbaren Rechtswidrigkeit hat das Bundesarbeitsgericht dieses Konzept nicht zuletzt unter dem Druck der großen, interessierten Interessenverbände aufrechterhalten – und dem Gesetzgeber damit viel erspart. Bepler hat den Kritikern schon in der Verhandlung am 27.1.2010 vorgreiflich geantwortet – in freundlichen Worten, jedoch inhaltlich, dass ihnen einfach nur die Vorstellungskraft fehle, mit einer Lösung umzugehen, bei der auch mehrere Tarifverträge nebeneinander existieren dürften. Ich hatte das Glück, an diesem Tag auch beim 4. Senat zu sein. Meine davor verhandelte Sache hatte mit Tarifeinheit nichts zu tun. Klaus Bepler hat mich in der Pause auf dem Gang getroffen und schlicht gemeint „Bleiben Sie doch noch, wir verhandeln jetzt zur Tarifeinheit…“. Prätentiös ist der Mann wirklich nicht: Arbeitsjuristisch ist das ungefähr so, als hätte einer im wahren Leben vor 1989 nebenbei zu Ihnen gesagt “warten Sie doch noch kurz, wir gehen eben mal die Berliner Mauer einreißen…”
So habe ich eine Sternstunde erlebt, die von der Öffentlichkeit wegen des Verfahrenswegs zunächst fast unbemerkt blieb – am 27.12.2010 wurde musste zunächst ein sog. Anfragebeschluss (grandios hier: Beschluss vom 27.1.2010, 4 AZR 549/08 (A)) an den 10. Senat gefasst werden, ob dieser an der Tarifeinheit festhalte (falls ja, hätte die Sache dem Großen Senat nach § 45 ArbGG vorgelegt werden müssen). Nachdem der 10. Senat sich aber anschloss (Beschluss vom 23.06.2010, 10 AS 3/10), kam dann im Juli 2010 das Meisterstück – die Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit (Urteil vom 7.7.2010 – 4 AZR 549/08). Die Spitzenverbände waren derart hysterisch, dass sie prompt den Gesetzgeber aufforderten, die abgeschaffte Tarifeinheit ins Gesetz zurückzubefördern, durch eine ausdrückliche Regelung. Das war eine der seltenen Allianzen der Gewerkschaften mit den Arbeitgeberverbänden. Klaus Bepler hatte das sicher gewusst oder geahnt und man darf vermuten – er hat darüber einfach freundlich gelächelt. Denn geworden ist aus dieser Hysterie nichts. Das Abendland ist genauso wenig untergegangen. So ist das mit der Angst vor dem Unbekannten.
Die Pressemitteilung des BAG über die Pensionierung (Pressemitteilung Nr. 40/12 vom 31.05.2012) hebt etwas hervor, das wahrlich eher ungewöhnlich ist in solchen Pressemitteilungen:
Sowohl beim Bundesarbeitsgericht als auch darüber hinaus hat sich Prof. Bepler mit seiner liebenswürdigen und freundlichen Art ein hohes Maß an Sympathie und Wertschätzung erworben.
Die etwas gestelzte Formulierung hat ihre Berechtigung. Prozessparteien haben ihn auch in Drucksituationen nie gestresst, gehetzt oder autoritär erlebt. Ich selbst hatte in seiner Amtszeit eine größerer Zahl tariflicher Auseinandersetzungen beim 4. Senat zu verhandeln. In der Tat: Klaus Bepler ist ein auffallend sympathischer, ansprechbarer und freundlicher Mensch, der gerade dadurch die Autorität seines Amtes hervorragend ausgefüllt hat.
Und es gibt noch etwas, das seine Verhandlungen beim BAG außerordentlich machte – sein bereits angesprochener, schierer Intellekt. Gut: Das Bundesarbeitsgericht ist stets etwas Besonderes, schon, weil es in keiner Anwaltspraxis wirklich zum Alltag gehört, auch wegen der Richter in der roten Robe und dem genius loci natürlich, vor allem aber, weil man es da wirklich und zwangsläufig mit außergewöhnlich intelligenten und erfahrenen Menschen zu tun hat (etwas anderes will auch niemand von einem Bundesgericht erwarten müssen). Klaus Bepler braucht prinzipiell keine lauten Töne, und genau deshalb waren seine Verhandlungen aber noch einmal etwas ganz Besonderes. Auf eine intellektuelle, argumentative Auseinandersetzung mit ihm kann man sich freuen. Wenn man dafür gerüstet ist. Wenn nicht, erlaubt er einem wenigstens, mit gewisser Ehrerbietung unterzugehen. In einer Gerichtsverhandlung merkt man nach Minuten: Da sitzt jemand, der manches Argument schon begriffen hat, bevor man es selbst ausformulierten konnte. Erstaunlich.
Jetzt darf man sich hoffentlich darüber noch mehr freuen. Die Pensionierung bedeutet nämlich hoffentlich eine noch größere Präsenz in Literatur und vor allem auf Konferenzen. Hier hatte sich Bepler mehr zurückgehalten als andere, was sein Standing in der Anwaltschaft allenfalls verbessert hat. Für Zurückhaltung besteht aber kein Anlass mehr: Klaus Bepler kann ausgezeichnet vortragen, je komplexer das Thema, desto verständlicher und klarer der Vortrag – im Tarifrecht gibt es da einiges zu tun. Einiges. Wir freuen uns darauf.