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02.09.2010
Neue Haftungsfalle für Anwälte - unnötig wie ein Kropf
Aus dem beliebten Kapitel “Was haben Sie sich bitte dabei gedacht???”
Dem Urteil des BAG vom 1.09.2010 - 5 AZR 700/09 muss man auch etwas Gutes abringen: Es schafft Rechtssicherheit. Leider werden viele Kollegen fast schuldlos in eine Haftungsfalle tappen, solange sich die Kunde nicht verbreitet hat. Und es wird viele unnötige Klagen geben. Diese Art von Rechtssicherheit ist eigentlich verzichtbar:
Es geht wieder einmal um die Klagefrist des § 4 KSchG (Dreiwochenfrist), nachdem man jahrelang dachte, dazu sei alles gesagt. Danach muss gegen alle Kündigungen innerhalb dieser Frist geklagt werden. Geschieht das nicht, sind sie wirksam, und mögen sie noch so rechtswidrig gewesen sein. Alles klar? Keineswegs.
Hier hatte der Kläger eine Kündigung bekommen, die einen häufigen Fehler enthielt: Die Kündigungsfrist war falsch - zu kurz - berechnet. Nach vielem Hin und Her - und lange nach Ablauf der drei Wochen des § 4 KSchG - entschloss sich der Kläger, den auf die ihm zustehenden weiteren zwei Monaten entfallenden Lohn einzuklagen - und scheiterte beim BAG.
Eine falsche Kündigungsfrist macht eine Kündigung nicht unwirksam. Daran ändert sich nichts. Wer mit zu kurzer Frist gekündigt wird, sich aber gegen die Kündigung selbst nicht zur Wehr setzen kann (z.B., weil das KSchG nicht anwendbar ist), kann letztlich nur eine Lohnnachzahlung - nach der “richtigen” Kündigungsfrist - beanspruchen. Dazu hatte er bislang Zeit, viel Zeit - bis zur (sehr großzügigen) Verwirkungsgrenze.
Nicht mehr. Der 5. Senat meint jetzt: Die richtige Kündigungsfrist kann man auch nur durch eine im Sinne des § 4 KSchG fristgerechte Klage geltend machen. Das gilt - dazu später - immer dann, wenn man die Kündigung nicht als fristgerecht auslegen kann. Haftungsrechtlich heißt das: Immer. Welcher Anwalt will schon ein Risiko eingehen?
Der Grund ist unverständlich: In § 4 KSchG geht es um die Geltendmachung der Sozialwidrigkeit oder Unwirksamkeit der Kündigung. Gerade die Wirksamkeit der Kündigung, und daran soll die Entscheidung nach eigener Aussage gerade nicht rütteln, berührt eine falsche Kündigungsfrist nun aber nicht. § 4 KSchG ist deshalb vom Wortlaut her eigentlich unanwendbar.
Die gegenteilige Rechtsfolge scheint der Senat - auf die Gründe darf man gespannt sein - aus dem Zusammenspiel mit § 7 KSchG abzuleiten. Nach dieser Vorschrift tritt die Wirksamkeitsfiktion ein, wenn man nicht rechtzeitig klagt. Das macht es natürlich nicht verständlicher - auch diese Vorschrift bezieht sich ja nur auf die rechtliche Wirksamkeit der Kündigungserklärung, nicht auf die eigentlich nebensächliche Frage der richtigen Frist. Man ist ratlos, was das soll.
Der Senat schränkt ein:
“Bei einer ordentlichen Arbeitgeberkündigung muss der Arbeitnehmer die Nichteinhaltung der objektiv richtigen Kündigungsfrist innerhalb der fristgebundenen Klage nach § 4 Satz 1 KSchG geltend machen, wenn sich die mit zu kurzer Frist ausgesprochene Kündigung nicht als eine solche mit der rechtlich gebotenen Frist auslegen lässt.”
Gut: Es gibt so viele brillante Presserklärungen und Urteile aus Erfurt, auch in sprachlicher Hinsicht, dass man diesen Satz als Ausrutscher durchgehen lässt. Wann kann man denn eine Kündigung, die eine falsche Frist enthält, als solche zur “rechtlich gebotenen” auslegen? Dann bestünde ja kein Zwang, innerhalb dreier Wochen zum Arbeitsgericht zu rennen. Hauptsächlich ist das der Fall, wenn die Kündigung eine “Angstklausel” enthält - etwa so:
“…Hiermit kündigen wir das Arbeitsverhältnis zum 31.3.20xx, hilfsweise zum nächst möglichen Zeitpunkt…”
Das dürfte der häufigste Fall sein. Soll man den Zusatz künftig sein lassen? Den Arbeitnehmer fies in die Verfristung rennen lassen? Weil man hofft, die Anwälte waren (noch) nicht auf Fortbildung? Nein, nein und nochmals nein!
Überlegen Sie mal: Kein Anwalt darf sich hier auf ein Risiko einlassen. Künftig wird also jeder, wirklich jeder Kollege schon bei einer falschen Kündigungsfrist Klage erheben, selbst dann, wenn es an der Kündigung im Übrigen nichts zu meckern gibt. Das ist für Arbeitgeber jedenfalls eine Zusatzbelastung - wo es bislang einen Briefwechsel gegeben hätte, gibt es jetzt eine eventuell teure Klage. Und auch Arbeitnehmer sind zu einer Klage gezwungen - sei es nur zur Fristwahrung - die sie sich u.U. gar nicht leisten wollen. Schließlich geht es um verhältnismäßig kleine Beträge und vor dem Arbeitsgericht muss man seinen Anwalt selbst zahlen. Der Fristendruck schafft einen unnötigen Klagedruck.
Das LAG Mecklenburg-Vorpommern (die Vorinstanz) wird auch nicht schlecht gestaunt haben: Dort hatte man sich ausschließlich über eine Verwirkung des Klagerechts Gedanken gemacht. § 4 KSchG blieb vor der Tür. In den führenden Kommentaren steht übrigens bis heute ausdrücklich - wenn auch ohne Beleg - dass die Dreiwochenfrist die Frage der richtigen Kündigungsfrist gerade nicht umfasse (z.B. HWK/Quecke, 4. Auflage 2010, § 4 KSchG, Rd.-Nr. 6; Erfurter Kommentar/Kiel, 10. Auflage 2010, § 4 KSchG, Rd.-Nr. 5, dort unter Berufung auf den Wortlaut der Vorschrift). Misslich, wenn der Blick in die führende Literatur auf den Holzweg führt (der man keinen Vorwurf machen kann - die Auffassung ist logisch, wortlautgerecht und bislang unumstritten). Die Welt wird jetzt also gefährlicher und komplizierter. Warum, das ist jedenfalls der Pressemitteilung nicht zu entnehmen.