Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
18.05.2012

Maredo, Marx, Wildwest

Im Frankfurter Arbeitsgericht können sie notgedrungen auch Hertha ./. Fortuna. Wieder einmal hat ein Arbeitsgericht einen Prozess zu verhandeln, bei dem die „Unterstützer“ im Dutzend erscheinen – weshalb das Gericht umziehen musste.

Es geht um Steaks, Getränke und den Maredo-Betriebsrat (hier berichtete Liz Collet bei Jus@Publicum). In Steakhäusern wird teilweise das Gaucho-Image ziemlich ernst genommen (siehe die Prequel zu diesem Western). Rausgeflogen ist im Fall tatsächlich der komplette Betriebsrat. Weil er sich an der Theke zu freigiebig bedient haben soll. Eine Runde für die Belegschaft nach Feierabend. Ein Steak, angeblich nicht als Personalverkauf boniert, sondern unter der Hand gefuttert. Eigentlich öde.

Das würde ich vielleicht nicht für berichtenswert halten, hätte ich nicht im Netz durch diesen Fall Karl Marx wiederentdeckt. Na ja, nicht, dass ich ihn sehr vermisst hätte seit 1989. Wobei es schon traurig ist, nicht mehr zu jedem Mist eine staatliche dialektische Meinung mit einem Marx-Zitat einholen zu können. Aber siehe da – die von ihm gegründete Neue Rheinische Zeitung, die nach Meinung aller Historiker 1849 zum letzten Mal erschienen war, existiert doch noch. Im Netz. Sie berichtet auch über Maredo. Sprache war allerdings noch nie eine marxistische Domäne (weder bei Marx noch bei seinen Nachfolgern), deshalb fällt auch hier die Berichterstattung sehr krude aus.

Über Passagen in der Berichterstattung wie:

“Haben die Parteien Platz gefunden?”, fragt nach dem Umzug ins Audimax der Richter. “Ja, das kann ich zuordnen”, meint er dann mit Blick auf die fünf adrett gekleideten Vertreter der Arbeitgeberseite. Eine willkommene Anerkennung, dass es so was wie Klassen gibt und man sie an ihrem Äußeren auch erkennen kann.

könnte man sich totlachen, wenn sie nicht so verbohrt wären und dieser Sprech nicht so eine grausame Geschichte hätte. Der Gedanke, dass die „adrett“ gekleideten Herrn beruflich dauernd beim Arbeitsgericht sind und man sich dadurch einfach kennt, kommt einem dialektischen Materialisten natürlich nicht. Auch vor Gericht gilt es als unhöflich, wenn man mehrmals die Woche aufeinandertrifft und dann so tut, als kenne man sich nicht.

Nachdem dann auch ein paar frustrierte “Blockupy”-Bewegte die Zentralbank verlassen durften, hatte man aus Klassennähe heraus gleich noch vor Maredo protestiert.

Was von den Vorwürfen zu halten ist?

Woher sollen wir das denn wissen? Verzehr durch das Personal ist in der Gastronomie ein Dauerbrenner wie im Einzelhandel die Personalselbstbedienung. Nur, weil alles rumliegt, darf man es nicht einfach futtern. Weiß man doch seit den Maultaschen und Emmely, oder hat sich da bei einigen der Irrglaube festgesetzt, man könne alles klauen, wenn es nur weniger als 50 EUR wert sein? Da hilft nur einer: Der Marshal mit echtem True Grit, nicht die Kopie…zieht Euch mal warm an in Frankfurt.

Der Prozess selbst aber verspricht jetzt schon originelle Ausreden und Gegenreden. Ein Betriebsrat meint z.B., er könne gar nix gegessen haben. Warum? (Dialoge nachempfunden):

Weil ich gläubiger Muslim bin

(Richter)

Christen und Juden dürfen auch nicht stehlen, aber sogar Gläubige tun es, das ist die traurige Wahrheit

(Arbeitnehmer)

Wenn ich unrechtmäßig mampfe, dann nur helal!

(Richter)

„he-was? Helau? Alaf?“

(Arbeitnehmer)

„Helal. Garantiert nach muslimischen Regeln hergestellt. Ich esse nichts anderes, selbst wenn ich es vorher geklaut hätte. Maredo ist nicht helal.

(Richter)

Wieso, ist doch Rind?

(Arbeitnehmer)

Quatsch. Darum geht es nicht; ich will ein Helal-Zertifikat. Hat Maredo nicht. Ätsch.

(Arbeitgeberanwalt, seelenruhig)

„Alle Maredo-Produkte sind Helal-zertifiziert. ALLE. Haben wir vorher gecheckt.“

Wir bewegen uns hier auf hohem Niveau.

Wie man selbst die innere Tatsache beweist, dass man auch bei Diebstahl nur Helal essen würde…wer weiß…viel besser als die Behauptung, man würde selbst gar nie klauen, ist das ja nicht. Wenn schon religiös, dann erinnert das frei assoziiert an einen alten Witz (nicht: „27!“ – „aber das ist doch gar kein Witz!“ – „Doch. Man muss ihn nur erzählen können…!“). Den ich jetzt aufschreibe, obwohl ich mir zur Regel gemacht habe, auf diesem Blog nie Witze aufzuschreiben. Es bleibt bei diesem einen (eigentlich sind es jetzt schon zwei. Na gut.). Also.

Ein Dorfbewohner will eine lange Reise – nach Amerika – unternehmen. Sein Erspartes kann er nicht mitnehmen, macht sich aber Sorgen, ob es unter seinem Kopfkissen wirklich monatelang gut aufgehoben ist. Er entscheidet sich, es lieber einer vertrauenswürdigen Person zu geben. Aus seiner Sicht ist das der Rabbi, der leicht widerwillig auch als Dorflehrer fungiert. Er bringt seinen Beutel also dorthin. „Das freut mich, dass Du mir so vertraust,“ meint der Rabbi. „Aber zur Sicherheit sollten wir noch Zeugen hinzuziehen, damit Du auf Deiner Reise ruhig schläfst. Auch Rabbis haben schon gesündigt!“. Er geht mit dem Reisenden also vor die versammelte Klasse von Dorfbuben und hält das Beutelchen mit dem Geld hoch. „Seht Ihr,“ sagt er, „unser Freund hier hat mir dieses Beutelchen Geld gegeben, damit ich es aufbewahre, bis er aus Amerika zurück ist. Könnt Ihr das alle bezeugen?“ Die Buben sind nicht sehr helle, aber sehr diszipliniert, und rufen alle „ja klar!“. Der Rabbi nickt zufrieden, geht mit dem Inhaber des Geldes wieder ins Hinterzimmer und schließt den Beutel vor seinen Augen in einen Stahlschrank ein. Zwei Monate später kommt der Reisende zurück und bittet um sein Geld. Der Rabbi schüttelt den Kopf. „Ich weiß nicht, was Du meinst.“ „Komm schon, wir haben es vor Deiner ganzen Klasse an Dich übergeben.“ „Gut,“ meint der Rabbi, „gehen wir und fragen sie danach.“ Sie gehen vor die Klasse. Rabbi: „Habt Ihr gesehen, dass er mir vor zwei Monaten Geld zur Aufbewahrung gegeben hat?“ Die Buben blicken voller Unverständnis und Unwissen mit leeren Gesichtern und kopfschüttelnd vor sich hin. Der Rabbi geht mit seinem entsetzten Gast ins Hinterzimmer zurück. „Siehst Du,“ sagt er zu ihm, während er den Stahlschrank aufschließt und ihm den Beutel aushändigt. „Sehe ich was?“ fragt der konsternierte Gast. Der Rabbi schüttelt seufzend den Kopf. „Na siehst Du, mit was für Leuten ich hier jeden Tag arbeiten muss? Lehrer ist wirklich kein Zuckerschlecken.“