Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) ist eine schmerzvolle Sache. Will ein Talkrundenteilnehmer einen vermeintlichen Neoliberalen verächtlich machen, so spuckt er gedanklich in die Ecke und murmelt „…Leih- und Zeitarbeit; prekäre Jobs…“. Jeder weiß, was gemeint ist.
Die sozialpolitische Diskussion sollen andere führen, aber sie ist komplex: Die Branche hat eine unglaubliche Flexibilisierung und einen unglaublichen Jobaufschwung mit befeuert; selbst Berufskritiker können nicht umhin, das einzuräumen, sie sagen nur sofort – teils mit erhobenem Zeigefinger – „aber!…“ und verweisen auf eine tatsächliche oder vermeintliche Erosion sozialer „Standards“. Beides ist wahr und kann doch nur schwer gegeneinander ausgespielt werden.
Die gesetzliche Regelung hat Löcher, die so groß sind wie in einem Maschendrahtzaun. Sie ist ein gutes Beispiel für Gesetze vom grünen Tisch, die nur auf Lobbydruck fehlerhaft überarbeitet und aus Angst vor politischen Konsequenzen zum falschen Zeitpunkt einfach nicht angefasst werden. Das Ergebnis ist Murks. Die Widersprüche flattern jetzt in Form von Gerichtsentscheidungen auf den Tisch.
Schauen Sie sich mal § 1 Abs. 1 AÜG an, sozusagen den Anfang des Gesetzes:
„…Arbeitgeber, die als Verleiher Dritten (Entleihern) Arbeitnehmer (Leiharbeitnehmer) im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zur Arbeitsleistung überlassen wollen, bedürfen der Erlaubnis. Die Überlassung von Arbeitnehmern an Entleiher erfolgt vorübergehend…“
Das Wort, um das es geht, haben wir markiert – es heißt „vorübergehend“. In einer alten AÜG-Fassung gab es eine Höchstfrist, jetzt ist es nur noch „vorübergehend“.
Was heißt denn eigentlich „vorübergehend?“
Na ja. Das LAG Berlin-Brandenburg hat im Oktober (LAG Berlin-Brandenburg, 16.10.2012 – 7 Sa 1182/12) die einfache Antwort gegeben: Das heißt gar nichts!
Weil das Gesetz sich weder festlegt, wann „vorübergehend“ aufhört und „dauerhaft“ anfängt, aber auch – was noch schlimmer ist – gar keine Sanktionen nennt, was z.B. passiert, wenn das Merkmal verletzt wird, heißt das eben gar nichts (gesetzgeberisches Geschwätz also). Man könnte an viele andere Ansätze denke, z.B., dass eine Dauerhaftigkeit dazu führt, dass (sozusagen tatbestandlich) keine Arbeitnehmerüberlassung mehr vorliegt. Aber die Frage nach der Zeitgrenze ist damit ebenso offen wie die nach den genauen Folgen. Das „gar nichts“ aus dem Oktober (hier kommentiert in der Rechtslupe) bedeutete für eine seit vier Jahren überlassene Krankenschwester, dass sie kein Arbeitsverhältnis zum Entleiher bekommt. Sie bleibt weiterhin Leiharbeitnehmerin.
Jetzt heißt „vorübergehend“ doch etwas. Das fand im September schon das LAG Niedersachsen (Beschluss vom 19.09.2012, 17 TaBV 124/11). Gegenstand war dort aber eine Auseinandersetzung mit dem Betriebsrat, der bekanntlich nach § 99 BetrVG vor einer Einstellung (auch „Eingliederung“ von Leiharbeitnehmern) anzuhören ist. Verweigert er, wie geschehen, die Zustimmung, darf der Einsatz nur erfolgen, wenn der Arbeitgeber die Zustimmungsersetzung beim Arbeitsgericht bekommt. Das hatte er nicht geschafft: Das AÜG verfolge einen „sozialpolitischen Zweck“, der Einsatz auf Dauerarbeitsplätzen sei deshalb unzulässig – der Betriebsrat dürfe zu Recht blockieren, denn das Merkmal „vorübergehend“ fehle – deshalb sei die Eingliederung gesetzeswidrig.
Kurz vor Weihnachten hat sich das LAG Berlin-Brandenburg dieselbe Ansicht vertreten (Beschluss vom 19.12.2012 – 4 TaBV 1163/12). Entschieden hat aber eine andere Kammer als im Falle der Krankenschwester (was heißt: andere Richter). Die Konsequenzen aus diesen beiden sog. Beschlussverfahren sind unfreiwillig komisch, wenn man sie neben das Krankenschwester-Urteil legt:
Die Leiharbeitnehmer haben erst einmal keine Rechte, sozialpolitische Absichten hin oder her. Sie können aus einer Verletzung des Merkmals „vorübergehend“ keine Konsequenzen ableiten, bleiben also draußen. Die Betriebsräte dürfen jetzt aber auch noch ihren Einsatz ablehnen; das tun sie übrigens allzu häufig, weil sie keine sozialpolitischen Interessen der Allgemeinheit, sondern die ihrer Wähler beachten müssen – der Stammbelegschaft. Dass die so ausgesperrten Leih- und Zeitarbeitnehmer einfach ihre Jobs verlieren, ist dabei eher ein Nebenprodukt. Die Arbeitgeber – gerade in Großunternehmen – finden leicht andere Wege: Dass der Arbeitgeber aufhorcht und sagt „Ups, na dann machen wir das mit Stammkräften“, ist ein Bürokratentraum. Mehr nicht.
Tatsächlich wird es den Gerichten (in beiden Beschlussverfahren ist die Beschwerde zum BAG zugelassen) kaum gelingen, hier etwas Sinnvolles zu produzieren, weil das AÜG dafür einfach zu wenig hergibt. Sozialpolitik ist, wie der Name schon sagt, eben Sache der Politik. Die hat aber wieder anderes zu tun, hat man doch erst vor einem Jahr das AÜG „renoviert“. Wenn auch die Zeit darüber hinweggerollt ist.