Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
28.08.2012

Kurzes Urteil, langer Prozess, echt diskriminiert?

…was den Autor betrifft, ist auch die Lungenentzündung ausgeheilt (vielen Dank für alle guten Wünsche aus dem Leserkreis). Dafür hat die Sommerpause, die auch auf diesem Blog zwangsverordnet war (siehe Lungenentzündung) nun auch auf dem Schlachtfeld der Diskriminierung ein Ende gefunden.

Vielleicht ist Ihnen das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 23. August 2012 – 8 AZR 285/11 (Uch! Schon letzten Donnerstag!) bereits untergekommen. Da geht es um ein einziges, kühles Argument:

Der Bewerber wird nicht eingestellt. Er ist allerdings Jahrgang 1956. In der Stellenanzeige wurden 25-35 Jahre alte Kandidaten gesucht. Der Arbeitgeber entschließt sich nach Abschluss des Verfahrens, niemanden einzustellen. Keinen. Aus.

Ein Selbstläufer für den Kläger, die Anzeige war ziemlich diskriminierend. Wäre da nicht das Problem, das der Arbeitgeber so strapaziert hat: Er hat gar niemanden eingestellt (obwohl auch „Junge“ sich beworben hatten). Wen soll er diskriminiert haben? Es hat ja niemand den Job bekommen!

Das LAG Berlin-Brandenburg hatte das in der Berufung ebenso gesehen, als es am 10.11.2010 – 17 Sa 1410/10 sein Urteil fällte. Man kann das Urteil am hier angegebenen Link nachlesen oder auch gleich hier veröffentlichen. Ja wirklich: Es ist das möglicherweise kürzeste Urteil des LAG in seiner Geschichte (ohne Anspruch auf Verifizierung). Bei der Lektüre ist zu berücksichtigen, dass Ziffer 1 überwiegend Gesetzeswiederholungen und einen Textbaustein enthält, Ziffer 3 zudem ein reiner Textbaustein ist. Die eigentliche Begründung hat daher gerade mal 3 Sätze. Die Gründe lauten – wir haben nicht gekürzt – lediglich:

Die Berufung ist unbegründet.

Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG nicht zu.

1. Beschäftigte können nach § 15 Abs. 2 AGG wegen ihres Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene Entschädigung in Geld fordern, wenn sie wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes – z.B. wegen ihres Alters – benachteiligt werden (§ 7 Abs. 1 AGG); dabei gelten Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis als Beschäftigte (§ 6 Abs. 1 Satz 2 AGG).

Eine unmittelbare Benachteiligung ist gemäß § 3 Abs. 1 AGG gegeben, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Geht es um die Besetzung einer Stelle, kommt eine Benachteiligung eines abgelehnten Bewerbers nur in Betracht, wenn er objektiv für die Stelle geeignet gewesen wäre (BAG, Urteil vom 18. März 2010 – 8 AZR 1044/08 – NZA 2010, 1129 ff.); fehlt es an einer objektiven Eignung des Bewerbers, befindet er sich nicht in einer vergleichbaren Situation mit dem Bewerber, der den Vorzug erhalten hat. Ferner muss die Stelle tatsächlich besetzt worden sein. Dass eine Stellenbeschreibung gegen einen oder mehrere der in § 1 AGG genannten Gründe verstößt, bedeutet für sich genommen noch nicht, dass ein abgelehnter Bewerber wegen dieser Gründe auch benachteiligt wurde. Hierfür ist es vielmehr erforderlich, dass ein anderer Bewerber eingestellt wurde und damit den Vorzug gegenüber dem abgelehnten Bewerber erhalten hat. Denn nur dann erfährt der abgelehnte Bewerber eine ungünstigere Behandlung als eine andere Person.

2. Bei Anwendung dieser Grundsätze erweist sich die Klage schon deshalb als unbegründet, weil die zunächst ausgeschriebenen Stellen von der Beklagten nicht besetzt worden sind. Es kann daher dahinstehen, ob der Kläger – wie von ihm in der Berufungsinstanz im Einzelnen geschildert – für die Stellen objektiv geeignet gewesen ist. Auch ist es ohne Bedeutung, dass die erfolgte Stellenausschreibung, die nur Bewerber im Alter von 25 bis 35 Jahren ansprechen sollte, bei einer Besetzung der Stelle ausreichend auf einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG hingedeutet hätte. Denn der Kläger hat keine schlechtere Behandlung als die übrigen Bewerber erfahren, die ebenfalls nicht eingestellt worden sind.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die gesetzlichen Vorausset-zungen für die Zulassung der Revision lagen nicht vor.

Tja, das war zu kurz. Und falsch dazu. Sogar, was die Revision anbelangte.

Das BAG meint, nur mit dieser Begründung hätte man die Klage einfach nicht abweisen dürfen. Es kommt nicht darauf an, ob überhaupt eingestellt wurde, sondern ob gerade seine Einstellung unterblieben ist, weil er „zu alt“ war. Irgendwie logisch, auch wenn uns die Begründung des LAG wirklich gefällt, in Stil und Form. Wiederholte LLektüre offenbart aber, dass leider ohne viel Nachdenken an den Baustein eine Schlussfolgerung geklebt wurde, die gar keine wirkliche Gesetzesanwendung darstellt, sondern einfach nur eine – auf den ersten Blick einleuchtende – Aussage trifft.

Also alles zurück zum LAG. Der Kläger musste sich, wie man sieht, sogar die Revision extra erkämpfen.

Nicht immer ist kurz also gut, auch wenn man sich manchmal knappere Urteile wünscht. Allerdings war die kürzeste Berufungserwiderung in einem LAG-Verfahren (nicht von mir), die nach meiner Kenntnis je Erfolg hatte, vor dem LAG Niedersachsen noch kürzer:

„Die Berufung ist nicht begründet. Das ergibt sich aus dem Urteil des Arbeitsgerichts.“

Aber der Kollege hatte auch ein außerordentlich gutes Händchen, einen sicheren Fall und war ziemlich souverän – über 60, übrigens. Ich warte noch auf meine Chance, so einen Coup zu landen…