Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
20.10.2011

Klatsch, Klatsch, Klarenberg

„Klarenberg“ ist ein schreckliches Wort, jedenfalls für manche. Dafür kann Herr Klarenberg nichts. Er ist nur der Kläger des nach ihm benannten Verfahrens beim Europäischen Gerichtshof (Klarenberg v. Ferrotron EuGH (Urteil vom 12. 2. 2009 – C-466/07). Das ist deshalb so kontrovers, weil es – auf ein Ersuchen des rebellischen LAG Düsseldorf – in einer Revolution endete. Der unterschwellige Dauerzwist zwischen BAG und EuGH zum Thema Betriebsübergang bekam ein neues Kapitel.

Das BAG hatte bis zur Klarenberg-Entscheidung bei einem Betriebsteilübergang folgende Grundregel aufgestellt: Überträgt man einen Betriebsteil (der eine organisatorische Einheit sein muss), dann handelt es sich nicht um einen Betriebsübergang, wenn der Erwerber diese Einheit in seinem Unternehmen völlig auflöst. Gab es vorher eine einheitliche Rechtsabteilung, werden die Juristen im neuen Unternehmen quer über alle Abteilungen verteilt, ist eben kein Betriebsübergang erfolgt.

Der EuGH hat diese Bastion geschliffen und die „identitätsauflösende Eingliederung“, die schon nicht keicht zu verstehen war, durch die völlig beliebige, folgende Formel ersetzt:

…Somit ist auf die vom vorlegenden Gericht gestellte Frage zu antworten, dass Art. 1 Abs. 1 Buchst. a und b der Richtlinie 2001/23 dahin auszulegen ist, dass diese Vorschrift auch dann angewandt werden kann, wenn der übertragene Unternehmens- oder Betriebsteil seine organisatorische Selbständigkeit nicht bewahrt, sofern die funktionelle Verknüpfung zwischen den übertragenen Produktionsfaktoren beibehalten wird und sie es dem Erwerber erlaubt, diese Faktoren zu nutzen, um derselben oder einer gleichartigen wirtschaftlichen Tätigkeit nachzugehen…“

Die Sache wurde dann in Düsseldorf entsprechend entschieden, zum BAG weitergereicht und jetzt – krachte es dort offenbar kraftvoll. Denn das BAG bleibt nur einen Meter vor dem zivilen Ungehorsam stehen und erklärt diese Definition als für den Fall Klarenberg irrelevant. Denn der angebliche Betriebsteil habe gar nie existiert – er sei nicht selbständig genug gewesen (Fehler Düsseldorf) und daher komme es auch nicht darauf an, was mit ihm geschehen sei, als die Eingliederung beim Erwerber erfolgte (Pressemitteilung zum Urteil vom 13. Oktober 2011 – 8 AZR 455/10 – PM 78/11):

…Der Senat hat weiter festgestellt, dass die von der Rechtsvorgängerin der Beklagten erworbenen Betriebsmittel einschließlich der übernommenen vier Mitarbeiter bei der ET-GmbH keinen Betriebsteil dargestellt hatten, so dass es auf die Frage, ob die Rechtsvorgängerin der Beklagten die organisatorische Selbständigkeit desselben bewahrt hatte, nicht ankam…“

Es scheint, als wäre die bedeutendste EuGH-Entscheidung der letzten Jahre zum Betriebsübergang zu einer fehlerhaften Vorlage eines Landesarbeitsgerichts ergangen. Überambitioniertheit schadet eben. Die Leidtragenden sind die, die jetzt noch weniger wissen, wann es einen Betriebsübergang gibt und wann nicht: Die Anwälte.