Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
17.04.2011

Kündigung immer erst nach Anhörung???

Unser Leser F. Meinhard hat auf ein Urteil des ArbG Gelsenkirchen hingewiesen (siehe Kommentar zu – “Jesus hat Dich lieb”). Das hält er für diskussionswürdig. Wir stimmen zu, aber es gehört, verehrter Herr Meinhardt, sicher in die Exotenecke.

Angesprochen ist nämlich eine wahrhaft exotische Entscheidung.

Nach diesem Urteil (vom 17.03.2010, 2 Ca 319/10) kann man eine Kündigung aus Verfassungsgründen nicht aussprechen, wenn man den Arbeitnehmer zuvor nicht angehört hat. Merke: Es spielt keinerlei Rolle, was für eine Kündigung das ist. Dass in kündigungsgeschützten Betrieben bei einer Verdachtskündigung eine Anhörung erforderlich ist (st. Rechtsprechung, zuletzt z.B. Urteil vom 25.11.2010, 2 AZR 801/09), hat ganz spezifische Gründe. Das ArbG Gelsenkirchen meint aber eben, dass das immer so sein muss – es sei denn, der Betrieb hat einen Betriebsrat. Grund: § 242 BGB sei „verfassungskonform“ auszulegen. Der Arbeitgeber verletzte sonst seine Fürsorgepflicht.

Bei Betrieben mit Betriebsräten soll es das nicht geben, da schafft – darf man vermuten – § 102 BetrVG eine ausreichende „Anhörungsrunde“.

Ja, da ist jemand auf dem Kreuzzug. Das kommt immer mal wieder vor, so ein Kreuzzug. Dass man ihn zur Übersteigerung von Kündigungsschutzvorschriften nutzen muss, ist aber traurig. Vor allem, wenn mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird. Da werden große Begriffe aufgefahren: Die Menschenwürde, ja sogar das Völkerrecht seien verletzt, wenn man den Arbeitnehmer nicht anhöre. Es gilt die Regel: Wenn einem nichts besseres al § 242 BGB und der Bezug zu den Grundrechten einfällt, ist man rechtlich meist auf dem Holzweg.

So auch hier. Was man an § 242 BGB „verfassungskonform“ auslegen kann (kann, nicht muss!), damit man eine Anhörungspflicht bekommt, erklärt das Urteil nicht. Die Vorschrift beschäftigt sich ja auch gerade nicht mit Kündigungen. Will man eine Kündigung unbedingt zermalmen, ist aber manchmal jedes Mittel recht. Die auffallende Ungleichheit, dass das nur in betriebstratslosen Betrieben gelten soll, wird einfach ignoriert – sei wann sind Betriebsräte denn die Wahrer der Menschenwürde und des Völkerrechts? Nein, da schießt jemand über das Ziel hinaus. Und was nützt es der Menschenwürde, dass ich vorher zu meinem Arbeitnehmer sage (Probezeit): „Das wird nix!“ . außer einem Arbeitsbeschaffungsprogramm für Gerichte und Anwälte kommt dabei kein Mehrwert heraus, auch nicht an Würde („Wir bestreiten die ordnungsgemäße Anhörung“ – es folgt ein Jahrzehnt Rechtsprechung zum Inhalt derselben – Oh bitte, bitte, nicht…).

Das ArbG Gelsenkirchen ist kein Ersttäter. Es hat wiederholt seine Auffassung vertreten. Schon das Urteil vom 26. 6. 1998 (3 Ca 3473/97), aus dem es selbst zitiert, hatte denselben Duktus und hat es auch in die einschlägigen Fachzeitschriften geschafft. Aber wozu? Gut, es kann sich lohnen, gegen den Strom zu schwimmen. Aber da muss man einfach immer die Parteien des Rechtstreits im Auge behalten. Was nützt es, immer wieder aufgehoben zu werden, weil auch das BAG nicht mitspielt? Wo bleibt die Rechtssicherheit?

Hier ist der Kampf auch ohne erkennbaren Sinn. Es ergibt sich dadurch kein „Mehr“ an Schutz und allenfalls kann man einen Arbeitgeber und seinen Anwalt überraschen und in einen Vergleich zwingen – wenn die nicht weiter prozessieren wollen.

Irgendwann ist gut. Auch das ArbG Gelsenkirchen wird keine Schule machen mit dieser Ansicht. Wen wundert es: Wir jedenfalls finden das auch gut so…