Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
06.03.2011

Jud Süß vor dem Arbeitsgericht

 

Nehmen wir an, Sie würden ein Kino betreiben. Nehmen wir weiter an, Sie hätten einen Geschäftsführer oder Spielleiter, der Ihnen “Jud Süß”, Veit Harlans antisemitischen Propagandafilm von 1940, auf den Spielplan setzt. Jetzt müssen wir den Fall ergänzen: Nehmen Sie an, er hätte es schon getan und Sie würden aus den Zuschauerprotesten davon erfahren (in Deutschland sagt’s Ihnen vermutlich auch die Staatsanwaltschaft, wenn Sie es verpennt haben).

In Ungarn, derzeit in Europa nicht gerade als Hort freier Medien im Gerede, ist genau das passiert. Der Arbeitgeber feuerte den Geschäftsführer, und wir vermuten, das geschah, weil er den Film als – sagen wir mal – ungeeignet beurteilte. (Zweifel sind angebracht, weil, wie der sehr spärlichen Berichterstattung zu entnehmen ist, der Arbeitgeber eine nationalistische und ziemlich rechtsgerichtete Veranstaltung sein soll).

Damit kam die Sache vor das Arbeitsgericht. In Ungarn. Das allerdings erklärte die Kündigung für unwirksam. Der Film sei nicht als politische Propaganda einzustufen. Ziemlich atemberaubend, aber – soweit man die Berichterstattung verfolgen kann – eine vor allem formalistisch gemeinte Argumentation. Offenbar musste der Geschäftsführer nur für politische Vorführungen die (hier fehlende) Genehmigung seiner Dienstherren einholen, so dass es entscheiden auf den politischen Charakter der Vorführung ankam. Womit man wieder belegt hätte, dass Juristen Haarspalter sind, aber den Sinn ihrer Handlungen nicht verstehen.

Wie ein Arbeitsgericht zu der Meinung gelangt, der Film könne etwas anderes als ein Politikum sein, ist natürlich schleierhaft und wird leider auch nicht berichtet.

Man fragt sich unwillkürlich, ob man in Deutschland, dem Ursprungs- und Herstellungsland des Films, zwingend bei einer anderen Beurteilung landen würde. Ja, lautete die Antwort sicher bei der Einstufung als Propagandafilm. Bei der Kündigung? Nun, der Fall aus Ungarn ist zu ungenau berichtet, um ihn auf deutsches Recht zu übertragen. Würde ein Festivaldirektor, Kinogeschäftsführer oder ähnlicher Mitarbeiter den Film ungefragt zeigen, würden wir aber nicht zögern, dem Arbeitgeber einfach so mal zu einer fristlosen Kündigung zu raten.

Aber wie das in den Mühlen der Kunst- und Lehrfreiheit zermahlen würde, oder in denen der unbeirrbaren Dämlichkeit - keine Ahnung:

Vor einiger Zeit feuerte eine Mandantin einen Auszubildenden, weil er seine neu erlernte Fähigkeit in der Metallbearbeitung einsetzte, um ein nettes Hakenkreuz zu basteln, das er “scherzhaft” (versicherte er später) im Schulungsraum der Azubis aufhängte. In der Verhandlung beim Schlichtungsausschuss der IHK meinte er, es handle sich doch nicht um etwas Politisches – schließlich sei das ein “altnordisches Sonnensymbol”.

Reaktion des Schlichtungsausschusses: Man könne keine Empfehlung abgeben. Die Sache sei zu schwierig. Aber ob man es denn nicht gütlich versuchen könne – Kündigung zurücknehmen, den jungen Mann (der nur grinste) rüffeln, ihn auf eine Lerneinheit zum Nationalsozialismus schicken.

Gut, der Schlichtungsausschuss ist kein Gericht. Aber können wir uns über die Ungarn (oder ihre Arbeitsrichter) wirklich erheben? Manchmal läuft es einem bei der Selbstkontrolle kalt den Rücken runter…