Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
04.12.2012

Irre Verfolgung

Meine merkwürdigste Mission brachte mich dieses nicht mehr lang andauernde Jahr in den fernen Osten Brandenburgs, der weihnachtlich geschmückt, dieser Tage aber grau und regnerisch ist. Die Rolle: Ungewohnt. Die Mission: Strafverteidigung. Warum nur?

Nun, der Hintergrund ist natürlich ein arbeitsrechtlicher.

Da machen Arbeitgeber ja bekanntlich Jagd auf Arbeitnehmer. Oder: Arbeitgeber versuchen, sich gegen Betrüger zu verteidigen. Blaumacher. Leute, die 6 Wochen Entgeltfortzahlung bekommen, aber in dieser Zeit an anderer Stelle arbeiten gehen. Doppelt kassieren. In „meinem“ Fall etwa Obstkisten schleppen statt beim Arbeitgeber auf dem Gerüst zu stehen. Die Schäden, die jährlich dadurch entstehen, gehen mit Sicherheit in die Millionen.

Die Arbeitsgerichte steuern dagegen. Sie geben den Arbeitgebern sogar die Detektivkosten als Schadensersatz (z.B. BAG, Urteil vom 28.10.2010 – 8 AZR 547/09) – wenn auch unter strengen Voraussetzungen, so insbesondere einem dringenden Anfangsverdacht.

Damit sind wir bei den Detektiven. Die sind in amerikanischen Filmen immer etwas schlauer als die Polizei und werden immer wieder damit bedroht, dass sie ihre Lizenz verlieren, um am Ende den Bösen schneller zu fangen als die anderen. Die deutsche Branche ist weit von diesem Bild entfernt. Notwendig, aber unterbezahlt, ohne anerkannten Berufsstand und ständig in einer Grauzone unterwegs. Lassen Sie so einen Detektiv hinter Ihrem Arbeitnehmer her-“schnüffeln“, die Ergebnisse frappieren manchmal. Ein „Blaumacher“, den ich in der Bearbeitung hatte, hat auch noch fröhlich ein Warenlager während der Krankheit angelegt. Mit Waren des Arbeitgebers, die er zuvor entwendet hat, versteht sich von selbst.

Manche Detektive nutzen die moderne Technik und auch die GPS-Tracker, die man im Internet allenthalben angeboten bekommt. Damit lässt sich die Position eines Fahrzeugs z.B. jederzeit aus der Ferne erkennen. In Lüneburg wurde im Sommer 2011 deshalb mal so ein Ding beschlagnahmt und das Landgericht Lüneburg (ja, haben die auch) meinte, die Aufzeichnung solcher Daten durch einen GPS-Tracker sei ein bestialisches Verbrechen (LG Lüneburg, Beschluss vom 28. März 2011 – 26 Qs 45/11) und überhaupt, verletze fies das obskurste deutsche Gesetz – das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG). Es würden „Daten erhoben“, das sei ja unglaublich und nach § 44 BDSG absolut auf jeden Fall ganz und gar selbstverständlich und offensichtlich total gemein strafbar. Basta.

Seither werden Detektive, die solche Tracker einsetzen, gerne aufgegriffen und auch heute saß lachend der „Zeuge“, der eigentlich Täter war (Blaumacher) da und feixte, dass es dem Detektiv an den Kragen gehen soll, der ihn damals hat auffliegen lassen. Die Staatsanwaltschaft hatte gleich mal Anklage erhoben, für einen Strafbefehl war der Fall nicht klein genug…und dann?

Ich kann verschiedene Dinge nicht verstehen:

Erstens gibt es § 32 BDSG. Darin wird die Datenerhebung für Zwecke des Arbeitsvertrags und bei der Aufdeckung einer Straftat geregelt. Was ist denn Lohnfortzahlungsbetrug – wenn keine Straftat? Dann hängt es nach dem Gesetz nur von einer Abwägungsentscheidung ab, ob man sich strafbar macht:

„…Zur Aufdeckung von Straftaten dürfen personenbezogene Daten eines Beschäftigten nur dann erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass der Betroffene im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat, die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung zur Aufdeckung erforderlich ist und das schutzwürdige Interesse des Beschäftigten an dem Ausschluss der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung nicht überwiegt, insbesondere Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig sind…“

Zweitens: Wie soll ein einzelner Detektiv – oder auch ein beauftragender Arbeitgeber – diese Abwägung eigentlich zutreffend vornehmen? „Meine“ Anklage heute meinte: In der Arbeitsunfähigkeit ist der Mensch ja zu Hause (ergänze: Sollte zumindest…), deshalb privat. Damit ist der Eingriff unverhältnismäßig und strafbar. Toll: Damit kann ich Blaumacher gar nicht observieren, denn sie sind ja per Definition nicht im Betrieb, sonder „privat“.

Drittens: Fröhlich anklagen ist ja sicher spaßig, aber wenn das BAG eine datenschutzrechtlich „illegale“ Videoüberwachung (s.o.) als Beweis zulässt, kann man doch bei der Verfolgung von Blaumachern vielleicht mal von einer Verfolgung berechtigter Interessen sprechen? Wo bleibt das?

Die Realitätsspritze aus dem Arbeitsrecht funktioniert im Osten Brandenburgs leider nicht einwandfrei. Man meint eben doch: Das ist alles nicht koscher. Auch das merkwürdige BAG helfe da nicht…es werde ja Menschen nachspioniert. Ja, furchtbar. Die Erlösung kommt aus einer anderen Ecke. Der Angeklagte hat seinen Sender nicht eingeschaltet. Der Polizei und der Staatsanwaltsschaft war dieses Detail entgangen, obwohl er immer und immer wieder in den Vernehmungen darauf hingewiesen hatte. Nur: Ohne Datenübertragung vom Sender auch keine Datenerhebung, oder? Dann auch keine Straftat. So einfach ist das manchmal.

Schön ist das trotzdem nicht. Gibt es einen Verdacht, darf man einen Detektiv senden. Ob er in einer grundsätzlich angemessenen Observation die „richtige“ Wahl der Mittel trifft, kann man ihm wohl kaum alleine aufbürden, oder? Aber man macht es.

Heute ist es noch einmal gutgegangen. Aber Verständnis hinzugewonnen hat keiner der Prozessbeteiligten. Nur Verwirrung. Aber der Regierungsentwurf des neuen BDSG wartet ja schon. In § 32g (“g” – oh Gott!) ist die Strafbarkeit abhängig von – einer Verhältnismäßigkeitsprüfung. Super. Manchmal sollte man auf eine Reform, die nur alles beim alten belässt, einfach auch verzichten.