Dieses Mantra muss man immer und immer wieder vor sich hinsagen. Damit man es auch nicht vergisst. Unbefangen kann man sich in der niedersächsischen Landeshauptstadt wieder mal die Augen reiben. Es ist wie im Zoo: Einige sitzen drinnen, andere beobachten die Irren von draußen. Ralf Möbius gehört zu denen, die draußen sitzen. Der Fall den er berichtet, lässt er mit feiner Ironie für sich selbst sprechen:
Das Landgericht Hannover hat etwas getan, das leider Konjunktur hat: Jeder lässt jedem verbieten, etwas zu sagen. Es hat ein Unterlassungsurteil gesprochen: Wenn die Beklagte noch mal etwas sagt, das dem Kläger nicht passt, so soll sie bestraft werden. Nach § 890 ZPO. Die Beklagte, die hat ihrer Vorgesetzten etwas erzählt. Was, muss man (in dramatisierter Form) sich so vorstellen:
Es ist Nacht in Hannover. Die Raumpflegerin putzt in einem einsamen Bürogebäude.
Wisch, Wisch, nur das Geräusch des Mikrofasertuchs und der feine Duft von Chlorreiniger unterbrechen die Stille. Bis Schritte kommen. Ein Mann – Büromitarbeiter – steht im Türrahmen, aphrodisiakisch angeregt von dieser Umgebung. Die Raumpflegerin schaut irritiert, um diese Zeit ist hier eigentlich niemand. Sie kennt ihn auch nicht. Nie gesehen.
Der Mann: „Lust auf eine Runde Sex?“
Die Raumpflegerin, gefasst: „Nein“.
Der Mann dreht sich um und geht wieder. Im Weggehen sagt er vor sich hin: „…kein Bedarf. Na, dann eben nicht…!“
Die Raumpflegerin ruft ihren (eigenen) Mann an und berichtet. Sie beendet ihre Arbeit. Am nächsten Tag erzählt sie das Ganze ihrer Chefin und bittet, nicht mehr allein in dem Gebäude eingesetzt zu werden.
Der Mann im Türrahmen erwirkt daraufhin das besagte Unterlassungsurteil.
Tatsache!
Die Raumpflegerin solle niemandem mehr erzählen, er hätte sie nach einer Runde Sex gefragt. Das Landgericht Hannover ist brav gefolgt. Die notwendige Wiederholungsgefahr liege ja auf der Hand. Sie habe es schon ihrem Mann und ihrer Chefin erzählt. Philip Stühler-Walter findet das in seinem Blog nur noch abstrus – und fragt sich, ob den Hannoveranern die Bodenhaftung verloren gegangen ist. Ja…da kommen einem sogar stärkere Formulierungen in den Sinn. Kollege Stühler-Walter fragt sich auch, wie der Arbeitgeber seine Vertragspflichten erfüllen soll, wenn der Arbeitnehmerin in solchen Fällen gerichtlich der Mund verboten wird. Geht natürlich gar nicht. Das Landgericht Hannover kennt eben das AGG nicht. § 12 Abs. 1 lautet:
(1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz vor Benachteiligungen wegen eines in § 1 genannten Grundes zu treffen. Dieser Schutz umfasst auch vorbeugende Maßnahmen.
Das ist eine Verpflichtung. Damit muss das Recht der Raumpflegerin einhergehen, das auch melden zu können. Eine Unterlassungsverpflichtung erinnert ansonsten an den in den 90ern kultivierten Versuch, unliebsamen und finanzschwächeren Anwälten und Parteien den Mund zu verbieten. Wer vor Gericht etwas behauptete, das die andere Seite entsetzlich fand – also normaler Gerichtsalltag – bekam eine Unterlassungsverpflichtung aufgedrückt. Die Rechtsprechung hat da schnell einen Riegel vorgeschoben, weil sie merkte, dass sie sich damit selbst sabotiert.
Jetzt könne man einwenden, das sei gar kein AGG-Fall, vielleicht gar keine Diskriminierung, sondern nur Belästigung. Durch Dritte.
Ja, sicher.
Dann lassen wir mal die Jurisprudenz:
Habt Ihr noch alle Tassen im Schrank?
War das deutlich genug? Ich darf mich nicht einmal meinem Ehepartner oder dem Arbeitgeber anvertrauen? Die “Üble Nachrede”, von der das LG faselt, steht im Gesetz (§186 StGB):
§ 186 Üble Nachrede
Wer in Beziehung auf einen anderen eine Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist, wird, wenn nicht diese Tatsache erweislich wahr ist, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Tat öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) begangen ist, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
“Öffentlich”. Alles klar? Das kann man werten, eine juristische Lieblingsbeschäftigung. Dann gibt es da übrigens noch ein paar Vorschriften weiter was ganz Eigenes:
§ 193 Wahrnehmung berechtigter Interessen
Tadelnde Urteile über wissenschaftliche, künstlerische oder gewerbliche Leistungen, desgleichen Äußerungen, welche zur Ausführung oder Verteidigung von Rechten oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen gemacht werden, sowie Vorhaltungen und Rügen der Vorgesetzten gegen ihre Untergebenen, dienstliche Anzeigen oder Urteile von seiten eines Beamten und ähnliche Fälle sind nur insofern strafbar, als das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Äußerung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht.
Sollte die Raumpflegerin bei ihren Äußerungen keine berechtigten Interessen wahrgenommen haben?
Es ist zum Heulen!
Es gibt einen Trost, sogar drei, genaugenommen:
- Über dem Landgericht gibt es noch ein OLG. Abgesehen davon, können auch Richter einmal irren. Aber bitte nur einmal. Auf Kosten der falschen Partei ist das jetzt schon gegangen.
- Es gibt einen Gott.
- Kollege Stühler-Walter meint, der Typ habe mittlerweile eh’ die Fristlose bekommen. Von seinem Arbeitgeber. Dann hoffe ich nur, dass Sie ihn nicht vertreten.
Niedersachsen. Sturmfest und erdverbunden.