Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
22.02.2012

Im Urlaubsland der rosa Einhörner

Da leben wir. Wie könnte es sonst sein, dass ausgerechnet „Urlaubsrecht“ so kompliziert ist in Deutschland?

Stellen Sie sich mal vor: Sie haben bei Arbeitgeber Fies einen Arbeitsvertrag mit 29 Tagen Jahresurlaub, im Jahr 2008. Nennen wir ihn den „Erstvertrag“, weil das so schön juristisch klingt (wegen des Juristischen müssen Sie auch unterstellen, dass der Vertrag in dem Jahr, um das es geht – 2008 – mehr als 6 Monate bestand. Dann kriegen Sie in Deutschland ja die vollen 29 Tage). Stellen wir uns vor, sie nehmen diese 29 Tage nicht. Auch deshalb, weil sie im Jahr 2008 schon wieder rausfliegen. Sie sind ein schlaues Büschchen bzw. eine schlaue Dern, weshalb Sie sofort Anschluss finden, bei einem anderen Arbeitgeber, Herrn Nett, nennen wir das den „Zweitvertrag“. Der fängt auch schon 2008 an – sagen wir mal, im Juli 2008. Aus unbekannten Gründen, vielleicht, weil er nett ist, gibt Ihnen der Herr Nett in diesem Jahr 2008 gleich erst mal 21 Tage Urlaub. Obwohl Sie einen richtigen Anspruch ja erst nach 6 Monaten hätten. Nett, oder?

Für diese Nettigkeit soll natürlich nicht er auf dem Scheiterhaufen landen. Sondern Ihr alter Arbeitgeber, der aus dem Erstvertrag, Herr Fies. Der hat Ihnen ja 2008, wenn Sie so richtig nachdenken, keinen Urlaub gegeben. Obwohl Sie eigentlich einen Anspruch gehabt hätten. Weil Sie im rosa Einhornwunderland leben, was den Urlaub betrifft, überlegen Sie scharfsinnig und mit Ihren Anwälten folgendes: Wer einen Anspruch hat, muss sich auch durchsetzen können! Also:

2008 hätten Sie von Herr Fies 29 Tage bekommen sollen, aber keinen gekriegt.

2008 haben Sie von Nett 21 Tage Urlaub bekommen.

Herr Fies ist ja nicht Herr Nett. Also soll Ihnen Fies mal schön die 29 Tage geben – in Form von Geld, als Freizeit können Sie den Urlaub ja nicht mehr kriegen. Dass Sie dann für das Jahr 2008 rechnerisch sagenhafte 50 Tage Urlaub hätten, stört Sie nicht (weil Sie ja im Einhornwunderland leben).

Kann Ihr Wunsch erfüllt werden?

Dass er keineswegs auf Entrüstung stößt, machen Ihnen die Einhörner, na ja, Richter beim Arbeits- und (Sächsischen) Landesarbeitsgericht vor: Die sprechen Ihnen die vollen 29 Tage Entschädigung zu. Weil Fies eben Fies und nicht Nett ist, man darf die beiden nicht vermischen.

So schön es in Erfurt auch ist, von Einhörnern haben die entweder noch nie etwas gehört oder sie mögen sie nicht. Das BAG kippt trauriger Weise dieses völlig abstruse Ergebnis (Urteil vom 21. Februar 2012 – 9 AZR 487/10). Sie sollen sich die 21 Tage, die Nett Ihnen gegeben hat, gefälligst anrechnen lassen.

Das Schöne ist die Begründung. Weil es keine gesetzliche Regel für diesen Fall gibt, lautet sie eigentlich nur: „Ihr habt wohl nicht mehr alle grünen Nadeln auf dem Tannenbaum!“. Was zum Aschermittwoch passt. Denn man kann das eigentlich nicht begründen, außer mit „das kann einfach nicht so sein“. Ein Urlaubs(abgeltungs-)anspruch besteht gegen jeden Arbeitgeber individuell. Den Urlaub Huckepack nimmt man nur beim Bau, weil deren Tarifverträge das so vorsehen. Also können Sie einen Doppelanspruch, wie hier, auch durchaus geltend machen. Allerdings mit einem völlig idiotischen (juristisch: unbilligen) Ergebnis, nach dem man eben mit 50 Tagen Urlaub für ein einziges Jahr endet…

Wie schon an anderer Stelle gesagt – so schön dieses Urteil auch in der Sache ist – wir brauchen ein anderes Urlaubsrecht.