Wir sind, das weiß jeder, in dessen Adern deutsches Blut fließt oder der zumindest im Schwabenland oder einer Reihenhaussiedlung seine prägenden Jahre verbracht hat, ein besonderes Volk.
Zu unseren herausragenden Eigenschaften gehört die Haarspalterei, die in einer Vulgärvariante auch Schlaumeierei genannt wird.
Das Recht, wie auch die Medizin, leiden unter dieser soziogenetischen Disposition besonders. Denn man kann hierzulande einfach kein Spezialist sein. Das würde nämlich voraussetzen, dass die eigenen Kenntnisse bei Laien angesehen sind (die sind ja Laien, man selbst Spezialist, sonst macht die Unterscheidung wenig Sinn). Für meinen Berufsstand ist das im vielfach empfohlenen Mandanten-Schwarzbuch beschrieben. Es gibt eben in Schlaumeierland einen überdurchschnittlich hohen Anteil an – Schlaumeiern.
Das gilt auch für Hartz-IV.
Das ist eine Transferleistung, die man aus vielen Gründen bekommt, die in der Summe bedeuten, dass man seinen Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten kann. Man muss sich aber um einen Job bemühen. Lehnt man ein zumutbares Angebot ab, wird man mit Kürzung bestraft.
Nicht, wenn man ein Arbeitsrechts-Schlaumeier ist.
Davon, dass das BAG seit Jahren meint, Überstundenklauseln seien unwirksam, wenn darin eine pauschale Abgeltung mit dem Grundgehalt erfolgt, hatten wir bereits erzählt, ebenso, dass solchen auch bei Anwälten gilt, die aber (komischerweise) daraus keinerlei Nutzen ziehen dürfen.
Daran kann man ziemlich viel Kritik üben, nachdem solche Klauseln seit Jahrzehnten existent und bewährt waren. Und weil eigentlich kein Skandal bekannt geworden ist, in dem das mal zu unzumutbaren Situationen geführt hätte. Egal. Gegessen.
Jetzt könnte man, wenn man diese juristische Haarspalterei schon einmal widerwillig akzeptiert, vielleicht auch der Aussage zustimmen, dass ein Vertrag mit pauschaler Überstundenabgeltung „arbeitsrechtswidrig“ sei.
Oder? Klar, oder? Oder? Na klar!
Jetzt brauchen wir noch einen Hartz-IV-Empfänger, der ein Jobangebot bekommt, das ihm gar nicht gefällt, z.B. weil er dann ja arbeiten müsste. Das ist natürlich eine spekulative Unterstellung, klar. Entschuldigung:
Es gibt sicher auch andere Motive. Aber wichtig ist nur: Wie entgeht der Mensch der Sanktion in Form einer Kürzung der Bezüge?
Ganz einfach.
Er durchforstet den Arbeitsvertrag, den ihm der Arbeitgeber vorlegt. Mit dem Läusekamm. Da bleibt, wenn man ein Schlaumeier ist, stets etwas hängen. Hier blieb die pauschale Überstundenabgeltung hängen. Die stand im stolz vom prospektiven Chef überreichten Vertragsangebot drin. Als er das gelesen hatte, brach im Schlaumeier der gerechte Zorn aus. Pauschale Abgeltung – unerhört – die ist doch nach der Rechtsprechung des BAG unzulässig! So dachte er und ließ sich das noch einmal auf der vor Entrüstung bitteren Zunge zergehen: U-n-z-u-l-ä-s-s-i-g. Rechtswidrig. R-e-c-h-t-s-w-i-d-r-i-g. Das schlimmste Verdikt in Schlaumeierland, nur vergleichbar mit „menschenunwürdig“.
Ja, einen so menschenunwürdigen Vertrag, wie in Millionen von anderen Arbeitnehmer haben, wie er Jahrzehnte in Gebrauch war, ja, so einen widerlichen, kapitalistischen, neo-liberalen, postakademischen, prekariatsorientierten Vertrag, „Vertrag“- er verdient das Wort nicht! – so einen, den muss man nicht unterschreiben. Wo kämen wir da hin! Den kann man gar nicht unterschreiben, schon wegen der Millionen, die bereits unter dieser ekelhaften Unterdrückung leiden mussten.
Das Jobcenter fand genauso wie Sie, dass sein Kunde nicht alle Tassen im Schrank habe und kürzte.
In Schlaumeierland zieht man dagegen natürlich vor das Sozialgericht.
Nicht bloß das. Man gewinnt seinen Prozess.
Ja, wirklich.
So einen menschenverachtenden Vertrag muss man nicht annehmen, er ist unzumutbar. U-n-z-u-m-u-t-b-a-r.
Meint das Sozialgericht Gießen (Urteil vom 25.11.2011 – S 22 AS 869/09) und stellt für alle Schlaumeier der Republik den Urteilsgrund des Jahres 2011 auf, kurz vor Jahresende (Rd.-Nr. 23):
„…Infolge der Unwirksamkeit der pauschalen Abgeltungsregelung für Überstunden in § 5 des Arbeitsvertrages war dem Kläger das Arbeitsangebot bereits aus diesem Grund nicht zumutbar…“
Ja, klar.
Da ist man wirklich platt und hat keine Ahnung, was man da sagen soll.
Ob das BAG bei seiner schon sehr an das Etepeteteprinzip angelehnten Rechtsprechung diese Spätfolgen (mit entsprechenden Finanzfolgen für die Staatskasse) bedacht hat? Nicht vorstellbar.
So kommen wir also zu einem System, bei dem der gewöhnliche Bewerber, der einfach eine Stelle sucht, so vorgeht: Job suchen, Bewerbungsgespräch führen, Zusage bekommen, riesig freuen, anfangen, sehen, ob es passt – auch mit Überstunden – bleiben, wenn es paßt, gehen, wenn nicht.
Der Hartz-IV-Empfänger wird in eine andere Sphäre geschoben – dort muss man den ersten Teil des Bewerbungsverfahrens auch hinter sich bringen, aber zum Ausprobieren hat man keine Zeit. Lieber kämmt man den Vertrag mit dem juristischen Läusekamm durch, Ergebnis siehe oben.
Ist das fair?
Nein, sicher nicht.
Musste das sein?
Nein, vermutlich nicht.
Es gibt den Sozialstaat ein wenig der Lächerlichkeit preis, auf Kosten aller – oder?
Vielleicht sollte an Beratungsgutscheine für Hartz-IV-Empfänger einführen. Damit die zum Anwalt gehen können, um ihre Vertragsangebote zu checken. Ich denke da an 25,00 EUR pro Beratung. Mehr als 10 Minuten braucht kein Arbeitsrechtler, um einen Arbeitsvertrag als rechtswidrig zu enttarnen, die meisten halten der ausgeflippten AGB-Kontrolle ohnehin nicht stand. Stellen Sie sich bloß vor, der Mensch bekommt einen Dienstwagen – und die Widerrufsklausel ist rechtswidrig. Eklig. So könnte man viele arme Menschen vor Unterdrückung schützen, sie weiter vom Staat alimentieren lassen und den animieren, auch noch was für die Anwälte zu tun. Es lebe die Eurokrise.
Ich gehe mir jetzt erst man den Mund mit Kernseife auswaschen.