Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
05.10.2012

Ihle, gewerkschaftliche Litigation-PR und warum keiner zufrieden ist

In Augsburg hat die Bäckereikette Ihle scheinbar eine Niederlage einstecken müssen. Die Bäckereikette versuchte, beim Arbeitsgericht die (vom Betriebsrat verweigerte) Zustimmung zur Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden zu erreichen. Heute wird gemeldet (hier die Augsburger Allgemeine), dass der Antrag (nach § 103 Abs. 2 BetrVG) vom Arbeitsgericht abgewiesen wurde. Grund ist – nach Pressemeldungen – die Überwachung des Herrn Vorsitzenden. Man verdächtigte ihn nämlich der Arbeitszeitmanipulation. Also hackte man seinen Computer. Überführt werden konnte er wohl auch. Aber wie es ausschaut, findet das Arbeitsgericht, dass man damit sein Persönlichkeitsrecht verletzt hat.

Dazu fällt mir zuerst ein, dass man die Sache noch weiter eskalieren kann – z.B., indem man Strafanzeige gegen die Geschäftsleitung stellt, weil sie „illegal“ Daten erhoben hat. Das kann strafbar nach § 44 BDSG sein. Unerlaubte Datenerhebung. Die notwendige Bereicherungsabsicht erkennt Ihre örtliche Staatsanwaltschaft gerne schon, weil Sie als Arbeitgeber einen Vermögensschaden von sich abwenden wollen (Sie lesen richtig). Wenn Sie es nicht glauben, kann ich Ihnen die StA gerne nennen, die derzeit fleißig dieses Delikt anklagt…

Aber mehr Eskalation geht hier schon fast gar nicht mehr. Denn der scheinbare Verlierer – der Arbeitgeber – stellt sich als allenfalls zweiter Verlierer heraus: Die massive Gewerkschaftskampagne der NGG, die mit Getöse den Prozess begleitet hat, scheint die Belegschaft gespalten zu haben. Durchaus nicht jeder findet, dass man als BR-Vorsitzender einfach davonkommen sollte, wenn man Arbeitszeiten manipuliert. Litigation-PR kann eben zurückschlagen. „Emmely“ musste sich auch anhören, sie sei eine halsstarrige Kriminelle; nicht jeder hält das aus. Böse Zungen meinen, der Vorteil anwaltlicher Vertretung liege ja auch darin, dass man einen Kämpfer nur für sich habe: Bei Gewerkschaften stehen auch andere Interessen dahinter. Wir äußern uns dazu nicht (Emmely war ja anwaltlich vertreten, das Vorurteil stimmt also nicht immer).

Der juristische Kern des Falls zeigt die atemberaubende Unzulänglichkeit des Arbeitsrechts auf einem zentralen Gebiet unseres Arbeitsalltags: Der Technologie. Natürlich hat der BR einen Computer, natürlich haben den die meisten Angestellten. Natürlich steigen mit der Technik die Überwachungsmöglichkeiten.

Aber das Problem beim Überwachen ist: Man muss erst einmal überwachen, um jemanden auf frischer Tat zu ertappen. Ob man die Überwachung dann auch verwenden kann – weiß man im Voraus nie. Die Gerichte stehen da auf extrem wackeligen Füßen: Sie wollen eine „Abwägung“. Schutzinteresse des Arbeitnehmers (Recht auf informationelle Selbstbestimung!) gegen Aufklärungsinteresse des Arbeitgebers (bedroht von einer Straftat!). Geht die Abwägung schief, dann darf man den gefundenen Beweis nicht vor Gericht verwenden. So wurde es auch hier entschieden. Ein solches „Beweisverwertungsverbot“ bedeutet: Jeder sieht, dass die Tat begangen wurde – aber man darf daraus keine Konsequenzen ziehen. (Kennt der Laie aus jedem US-Krimi. Kein Durchsuchungsrecht für den Van, in dem die zerstückelte Leiche der letzten drei Opfer lag? Freispruch!)

Nur: Die Abwägung macht der Richter – wenn alles gelaufen ist. Es gibt keinen rechtlich sicheren Weg, sich vorher zu vergewissern, nicht einmal, wenn man z.B. den Betriebsrat selbst einbindet. Dieser Zustand ist eigentlich aberwitzig: Wenn viel Arbeit nur am Computer geschieht, kann man Missbrauch auch nur durch Computerüberwachung aufdecken, wie denn sonst? Die Frage scheint keiner zu stellen. Die Überwachung am Grad des Anfangsverdachts festzumachen, ist gut und schön. Aber „beweisen“ Sie mal einen Verdacht. Die Realität ist: Jeder Richter wird anders reagieren, eine Vorhersage ist nicht möglich. Parteien und Gerichte werden vom Gesetzgeber alleine gelassen. So entsteht ein Sammelsurium von Entscheidungen, aus denen sich (fast) nichts ableiten lässt: Am Beispiel der Videoüberwachung, die besonders en vogue ist und Pate für alle Arten der Überwachung steht, kann man das gut sehen: ok, auch wenn es der Betriebsrat erst später erfährt (BAG, Urteil vom 27. 3. 2003 – 2 AZR 51/02). Videoüberwachung pfui (29.04.2011 – 9 BV 183/10). Doch nicht pfui (erst dieses Jahr: BAG, Urteil vom 21.6.2012, 2 AZR 153/11). Gar nicht immer pfui (LAG Köln, Urteil vom 18.11.2010 – 6 Sa 817/10). Extremsuperpfui (ArbG Bremen-Bremerhaven, 30.03.2010 – 4 Ca 4165/09)

Sie sehen zwar: Das „Pfui“ wird immer leiser, je höher die Instanz liegt. Auch überrascht nicht, dass man in Bremen ungern BAG-Urteile liest. Aber die Crux der Sache ist und bleibt nun einmal: Es gibt einen Verdacht. Man hilft sich durch Überwachung. Der Täter wird überführt. Ob das aber irgendwelche Konsequenzen hat, steht nach drei Instanzen fest und ist das Ergebnis eines Abwägens, das jeden Menschen zur Verzweiflung bringen muss.

Ein Staat, der steuerliche Wunderwerke wie die Betriebsaufspaltung erfindet, sollte auch die Beweiserhebung durch den Arbeitgeber irgendwie verlässlicher regeln können. Oder? Bevor Sie es erwähnen: Der Regierungsentwurf zum Arbeitnehmerdatenschutz, der vermutlich immer als “Entwurf” im Gedächtnis der Menschheit bleiben wird, ist da leider misslungen.

Ihle steht jetzt mit verlorener erster Instanz irgendwie als moralischer Sieger da, als Opfer eines unvorhersehbaren Abwägungswahns. Das ärgert die NGG natürlich. Da kann man nur sagen: Allzu viel Lärm hat noch keinem Prozess gutgetan.