Arbeitsrecht ist von persönlichen Animositäten geprägt wie sonst vielleicht noch das Familien- ud Erbrecht. Bei Zeugnis kommt es dann zum Schwur. Mal abgesehen von der Zeugnisnote ist auch der Schlusssatz ganz wichtig (jüngst BAG, Urteil vom 11.12.2012 – 9 AZR 227/11) .
Dann kommt es zur Frage der Übergabe. Sendet der Arbeitgeber es mit der Post, was die meisten Arbeitgeber tun, dann faltet er es manchmal, damit es in den Umschlag passt (darf er auch, musste bekanntlich das BAG, Urteil vom 21. 9. 1999 – 9 AZR 893/98 entscheiden, gegen die Vorinstanzen allerdings).
Dann ergibt sich auch gelegentlich folgende ur-deutsche Arbeitsrechtsansage, die manches Mal per eMail, manches Mal telefonisch oder auch – sehr gerne – per Anwaltsfax oder per Anwaltsbrief kommen kann.
Das Zeugnis, das Sie laut des Urteils dieses durchgedrehten Arbeitsgerichts zu beanspruchen haben, liegt hier zur Abholung für Sie bereit.
Bevor ich es vergesse: Ich möchte das Zeugnis nicht vor allen anderen Mitarbeitern übergeben müssen und bin auch sonst sehr beschäftigt. Sie sollten einen Termin vereinbaren. Möglich ist das bei Vollmond, falls Mars und Venus sich zu diesem Zeitpunkt im selben Viertel ihrer Umlaufbahnen befinden und das Datum auf Stalins Geburtstag fällt.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Ex (Arbeitgeber)
Ja, das ist wirklich so. Denn das Arbeitszeugnis ist eine sog. Holschuld. Das hat erst jetzt wieder das LAG Berlin-Brandenburg entschieden (Beschluss vom 6.02.2013 – 10 Ta 31/13).
Holschulden muss man abholen. § 269 Abs. 2 BGB sagt dazu schlicht:
Ist die Verbindlichkeit im Gewerbebetrieb des Schuldners entstanden, so tritt, wenn der Schuldner seine gewerbliche Niederlassung an einem anderen Ort hatte, der Ort der Niederlassung an die Stelle des Wohnsitzes.
Dahinter verbirgt sich dann eine ganz einfache Losung:
Holen Sie sich das Ding gefälligst ab. Und zwar, wann ich es will.
Das wäre wohl kaum erwähnenswert, wenn es diese dämlichen Machtspielchen nicht tatsächlich gäbe. Letzte Woche z.B. erst hat eine Freiberuflerin die Karte gezogen. Nicht, ohne zuvor Erkundigungen einzuziehen, wann die Betroffene möglichst nicht erscheinen kann, woraus sich zwanglos die für eine Abholung zur Verfügung stehenden Zeitfenster ergaben.
Kommentare zum BGB lassen den Leser in diesen Situationen ratlos zurück. Denn Regeln über einen fairen Umfang mit diesem erheblichen Schikanepotential fehlen anscheinend.
Ist das nicht witzig? Wir leisten uns ein System, in dem man dem Arbeitgeber jeden Unsinn auferlegt, von Krankheitsrisiken bis zur Familienplanung. Aber beim Zeugnis bleiben wir hart. Das holen wir uns mal schön selber ab.
Aber irgendwie kann man das ja auch verstehen. Den kollektiven Aufschrei der Arbeitgeber. Wir doch jüngst das Gerücht lanciert, man müsse immer gute Zeugnisse schreiben, als Arbeitgeber. „Schlechter“ als gut, da muss man schon ordentlich was beweisen. Und der Grund, wie man auf dem Blog Betriebsrat 2014 erfahren kann, soll nach Meinung des Arbeitsgerichts (ahem, Berlin – ich habe mir das nicht gefangen, sonst hätte ich die Bibliothek vermutlich verwüstet) sein, dass die Note „gut“ am meisten vergeben wird und daher irgendwie Durchschnitt ist.
Und da sage noch einer in Europa, wir Deutschen hätten keinen Sinn für Humor.