Am 2. September 2009 starb Ronald H. Coase. Die durch alle Medien verbreitete Meldung über einen in London geborenen, amerikanischen Ökonomen, dessen Name hierzulande wenige Leute kennen, lässt aufhorchen (ein deutscher Nachruf aus der FAZ Online ist hier zu finden). Die Meldung selbst hat ihren Grund nicht darin, dass das fast biblische Alter – Coase wurde am 29.12.1910 (!) geboren – eines Professors, der noch bis zuletzt an einer großen Publikation arbeitete, bereits für sich genommen ein Aufmerken wert wäre.
Coase war vielmehr einer der einflussreichsten amerikanischen – da fängt es an – Ökonomen? Juristen? Er hat wenig Aufhebens um die Grenzen seiner Tätigkeitsfelder und den Tellerrand von Fächern gemacht. Der an der London School of Economics and Political Sciences ausgebildete Ökonom – die LSE war ein erfolgreicher Gegenentwurf zu „Oxbridge“, Coase aufgrund einer Behinderung im damaligen Bildungssystem mehr als benachteiligt – war jahrelang Professor der University of Chicago Law School, einer Eliteinstitution mit wenig Konkurrenz in den USA (deren Nachruf ist hier zu finden). Das Stichwort „Economic Analysis of Law“ haben auch deutsche Studenten oft gehört und ich kann Ihnen versichern, dass es zumindest in Großbritannien noch in den 90er Jahren ein zentraler Aspekt eines jeden Company Law-Kurses an der Universität war.
Sein Aufstieg begann wohl 1937 mit dem Aufsatz „The Nature of The Firm“ (Economica, New Series, Vol. 4, No. 16. (Nov., 1937), pp. 386-405), dessen erste Seite Sie – im Ausschnitt – unten sehen. Und glauben Sie, meine Professorin legte Wert darauf, uns eine Kopie des Originaltextes und kein Reprint zu geben; das erhalte „die Würde“ des Dokuments, meinte sie, und sie hatte wohl recht. Wer würde auch einer Professorin widersprechen?
Abgesehen davon, dass der Eingangssatz nach der Finanzkrise allen Volkswirten in den Ohren klingeln dürfte, habe ich in meiner alten Kopie eine Spur Arbeitsrecht gefunden. Sehen Sie mal, mit welcher Leichtigkeit ein Ökonom 1937 über Arbeitsbeziehungen schreibt:
We can best approach the question of what constitutes a firm in practice by considering the legal relationship normally called that of “master and servant” or “employer and employee.
Der Unterschied zwischen Dienern und Arbeitnehmern ist deshalb eher sprachlicher Natur. Ahem. Als Beleg wird ein Werk zitiert, das 1937 noch zitierfähig war und wohl auch in der Unibibliothek stand: Francis Raleigh Batt, The Law of Master and Servant. Wie Sie sehen, Zeiten ändern sich. Scheinbar. Denn inhaltlich kling die dem Werk entnommene Regel nicht anders als § 106 GewerbeO, das sog. Direktionsrecht:
The master must have the right to control the servant’s work, either personally or by another servant or agent. It is this right of control or interference,…(within the hours of service) and when not to work, and what work to do and how to do it (within the terms of such service) which is the dominant characteristic in this relation and marks off the servant from an independent contractor.
Vielleicht hat diese Arbeits-Beziehung Coase zu den Juristen getrieben: Seine “Firm”, das Zentrum des ökonomischen Lebens, lebte schließlich nur, weil es – die richtig austarierten – Arbeitsverhältnisse gab. Ich weiß es nicht. Aber was für ein Leben, was für ein Autor, wenn an auf einen Blick zwei dergestalt moderne Erkenntnisse aus dem Jahr 1937 erkennen kann – der Eingangssatz zu „The Nature of The Firm“ allerdings scheint mir eine Mahnung zu sein, die weniger ernst genommen wurde als das Direktionsrecht vom Bundesarbeitsgericht.