Am 2. Dezember 2011 hatten wir über die Berliner HIV-Kündigung berichtet. Ein Laborant, der mit der Herstellung von Arzneimitteln befasst war, war wegen – wegen! – seiner HIV-Infektion gekündigt worden. Jetzt hat das Landesarbeitsgericht (am heutigen Tag, Urteil vom 13. Januar 2012 – 6 Sa 2159/11) seine Berufung zurückgewiesen.
Der Fall, bei dem sich sicher bei den meisten Menschen spontan Gerechtigkeits- und Protestreflexe melden (mich eingeschlossen), ist dogmatisch so zugespitzt, dass man ihn fast für einen inszenierten Probelauf zur Klärung von Grundsatzfragen halten könnte. Trotz intensiver Pressearbeit war es vor Saal 227 des LAG heute keineswegs so rummelig, wie man hätte erwarten können (dann allerdings sind auch die Maßstäbe beim LAG Berlin-Brandenburg ziemlich hoch, seit CGZP und Emmely jedenfalls). Leider – dumm für den Autor – musste ich ein Stockwerk höher selbst eine Berufungsverhandlung machen. Und so entging mir der Prozess des Tages.
Die Zuspitzung, von der oben die Rede ist, liegt an den Begleitumständen. Der Betroffene war noch in der Probezeit. Seine Kündigung konnte daher auf gewöhnlichem Wege nicht angegriffen werden. Es war auch keineswegs so, dass um die Frage der HIV-Infektion herumtaktiert wurde: Der Laborbetreiber kann wohl belegen, dass er alle Erkrankten (Krankheit egal) von der Medikamentenherstellung ausschließt. Die Kündigung erfolgte, räumte er ein, klipp und klar gerade deshalb, weil der Kläger eine HI-Infektion hat. Dann bleibt für die Gerichte ja nur, sich die Sacher unter dem Gesichtspunkt des AGG anzusehen.
Interessant allerdings, erinnert man sich an die Diskussion um Daimlers Blutproben, dass der Arbeitgeber durch die betriebsärztliche Untersuchung erst auf die Infektion aufmerksam wurde. Da türmen sich viele Fragen, so z.B., ob eine HI-Infektion überhaupt mitgeteilt werden darf. Ob man die bloße Infektion als Krankheit oder gar als Behinderung ansehen darf, muss oder soll. Und ob es eine Diskriminierung darstellt, wenn man einen Grippekranken oder Hepatitis A Infizierten kündigen dürfte, den HI-Infizierten aber nicht – und umgekehrt. Gedankenspielchen?
Nein: Das LAG hat dem Bundesarbeitsgericht (Revision zugelassen) eine harte Nuss mit auf den Weg gegeben. Nach der Pressemitteilung kann man eigentlich dahinstehen lassen, ob die HI-Infektion als Behinderung anzusehen wäre (anders vielleicht als die Hepatitis oder Herpesinfektion). Denn das LAG hat in einer intellektuell wirklich scharfen Weise scheinbar darauf abgestellt, ob die angenommene Diskriminierungssituation wirklich eine „andere“ Behandlung des Betroffenen darstellt – verglichen mit (unterstellt) nicht behinderten Arbeitnehmern. Der Arbeitgeber schließt nämlich jede Person von der spezifischen Arbeit aus, die einen Infekt hat, ohne Rücksicht darauf, ob er die Qualität einer Behinderung hat. Übersetzt könnte man auch sagen: Der Laborrauswurf trifft behinderte und nichtbehinderte Mitarbeiter mit einer Infektion gleichermaßen.
Dann liegt auch keine Diskriminierung vor.
Ob das eine geniale Lösung ist und der Realität gerecht wird, soll nun natürlich noch Erfurt entscheiden. Man wird dort alles noch einmal auseinandernehmen. Ob der Arbeitgeber wirklich ein Recht hat, seinen Betrieb vor einer Gefahr zu schützen, die nach Auffassung vieler Experten keine ist (ein Übertrag der Infektion auf die hergestellten Medikamente ist angeblich ausgeschlossen). Ob man HI und andere Viren einfach gleichstellen kann und vor allem, wie man zu dem Schluss gelangt, dass der Arbeitgeber tatsächlich immer alle Infizierten ausschließt (von der Laborarbeit), oder ob er beim Stichwort „HIV“ doch das besondere Gruseln bekam – und eben doch deshalb gekündigt hat.
Kommt man so weit, wird das BAG endlich auch Farbe bekennen müssen, ob das Diskriminierungsverbot, wenn es verletzt wird, auch unmittelbar zu einer Unwirksamkeit der Kündigung führt.