Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
09.07.2012

Gute Zeugnisse diskriminieren manchmal ziemlich hart

Es wäre an der Zeit, sich als Arbeitgeber ganz tief in eine Erdhöhle zu verkriechen. Vor allem, wenn es um Diskriminierungen geht. Da jagt die Rechtsprechung ja sogar ausgewachsenen Strafverteidiger wie Carsten Hoenig eine Gänsehaut auf den Rücken.

Ja, und ich gebe zu: ich bin notorisch ungenau. Weil Ende Juni so viel los war, habe ich die Pressemitteilung des BAG zum Urteil vom 21. Juni 2012 – 8 AZR 364/11 einfach unter „noch’n Diskriminierungsfall“ abgehakt. Ein Fehler! Sie können hier noch mehr Gänsehaut bekommen! Vor allem verbindet der Fall zwei Lieblingsthemen aller Arbeitgeber:

  1. Ethnische Diskriminierung, die nicht immer mit der Sprache zusammenhängt, auch nicht mit Ost und West, oder gar Ossis, aber auch in – nach eigener Beschreibung – Unternehmen vorkommt, die sich als „Scheiß-Laden“ bezeichnen (und damit vielleicht richtig liegen).
  2. Zeugnisse, in denen man bloß kein Glück wünschen darf, deren Abfassen auf Klopapier nur in Österreich üblich, aber auch nicht zulässig ist, die man aber auch fälschen darf, wenn man Arbeitnehmer ist, denen meist Geheimformeln und Verschwörungen zugrunde liegen, die aber auch mal Knast bedeuten können.

Was soll ich mehr sagen?

Also:

Die türkischstämmige A. arbeitet bei einer Stadtverwaltung, wo erkennbar alle anderen nicht türkischstämmig sind. Sie arbeitete mit einem befristeten Vertrag. Als sie sich auf eine unbefristete Stelle bewirbt, wird sie nicht genommen. Sie findet das diskriminierend und klagt.

Das LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 25.03.2011 – 9 Sa 678/10) gibt ihr letztes Jahr schließlich Recht – und spricht eine Entschädigung aus. Das Bundesarbeitsgericht hat das Urteil jetzt zwar aufgehoben, aber nur wegen Begründungsmängeln. Der Fall ist damit also nicht zu Ende, er geht nur in die Verlängerung. Aber worin, meinen Sie, könnte die Diskriminierung denn liegen?

Sie liegt im Arbeitszeugnis, wenn überhaupt.

Ah, denken Sie jetzt. Ein Idiot von Arbeitgeber, ohne Erfahrung, ohne dickes Fell, einer, der die „Zeugniswahrheit“ im umgangssprachlichen Sinn versteht, der seinen dreckigen Vorurteilen freien Lauf läßt, ein Absolute Beginner also. Sie malen sich die diskriminierenden Formulierungen im Zeugnis sicher schon aus. Juicy.

Die Leistungsbeurteilung lautet:

Frau A. erledigte die ihr übertragenen Aufgaben selbständig, sicher, termingerecht und zu unserer vollsten Zufriedenheit

Das ist ein glattes „sehr gut“.

Tut mir leid: Keine rassistischen Beleidigungen, keine ungelenken Formulierungen, eine schlanke Spitzennote. Damit hat der Arbeitgeber nur getan, was weithin üblich ist: Die Nichtverlängerung mit einem Zeugnis zu garnieren, dass allerbeste Chancen auf dem Arbeitsmarkt garantiert.

Der fiese Diskriminator!

Ich bin nicht verrückt. Wie das Bundesarbeitsgericht herausgearbeitet hat, war der Klägerin informell gesagt worden, sie werde nicht verlängert, weil man mit ihr nicht zufrieden sei; „Leistungsmängel“ war das Stichwort.

Das wiederum verträgt sich gar nicht mit dem Jubelzeugnis.

Falls Sie es immer noch nicht verstanden haben sollten: Das BAG meint hier, dass entweder die „Auskunft“ falsch war, man verlängere nicht, weil A. nicht gut gearbeitet habe. Dann ist das Zeugnis richtig. Oder es verhält sich umgekehrt. Im ersteren Fall liegt ein Indiz für eine ethnische Diskriminierung vor, weil man davon ausgehen muss, dass die Falschauskunft nur vorgeschoben ist – weil man die gut arbeitende Türkin nicht haben wollte. So platt ist das.

Was falsch und richtig ist, muss nun das LAG aufklären.

Den Ratschlag, zur Vermeidung von Ärger immer ein gutes Zeugnis zu geben (der auch von Arbeitnehmervertretern geteilt wird…), werde ich also jetzt erst mal konditionieren müssen. Wie man es macht, macht man es eben falsch.

Was ich sonst noch mal herausfinden muss, wenn Zeit ist:

Im Verfahren ist vorgetragen worden, die Verwaltung beschäftige Menschen aus „13 Nationen“. Das ist löblich und widerlegt die Lebenslügenthese der Deutschen aus den 90ern („Deutschland ist kein Einwanderungsland“ – fragt sich nur, wo die Autoren der These genau leben, auf Mallorca?). Aber woher wissen die das? Ich meine, es ist z.B. immer von der „türkischstämmigen Mitarbeiterin“ die Rede. Interessant wäre doch: Ist sie überhaupt Türkin oder vielleicht Deutsche? Viele „…stämmige“ Bürger sind ja Deutsche, unabhängig von einer “Ethnie”. Also: Zählen die alle Ausländer im Sinne des Ausländerrechts, wenn sie „13 Nationen“ sagen? Das könnte ich verstehen, denn schon wegen der Arbeitserlaubnisse kann ein Arbeitgeber die Staatsbürgerschaft eines Arbeitnehmers erheben (das ist datenschutzrechtlich gemeint). Aber wenn das Deutsche sind – darf er (soll er?) die – äh – „Ethnie“ erheben? So dass in der Personalakte steht „Staatsbürgerschaft: Deutsch; Ethnie: Türkisch“? Das möchte man sich lieber nicht vorstellen, oder? Die Ethnie dürfte kaum zu den in § 32 Abs. 1 BDSG genannten Daten gehören

Gut, dass ich die Pressemitteilung doch noch gelesen habe.

Berichtet hatten schon, ohne die komödienhafte Seite des Falls zu betrachten, Rechtsanwalt Arbeitsrecht Berlin Blog, außerdem die Kanzlei Dr. Bahr, obwohl sich der Fall nicht den „neuen Medien“ zuordnen lässt, sowie der Arbeitsrecht-Blog und die stets aktuelle Rechtslupe.