Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
15.03.2011

Gerichtstermine sind Arbeitszeit! (Bericht aus der Arbeitsrechts-Klempnerei)

 

Das gilt nicht nur für Anwälte und Richter, sondern auch für Arbeitnehmer. Überraschend?

Richtig fies wird es aus Arbeitgebersicht ja erst dann, wenn der Arbeitnehmer zu einem Prozess erscheint, der gegen ihn selbst – den Arbeitgeber – geführt wird. Das soll der auch noch bezahlen! Unerhört!

Bevor wir jetzt auf das allfällige “Es kommt darauf an” verfallen, erst mal ein bisschen wohlfeile Larmoyanz – müssen wir alles verrechtlichen? Ja klar  – sonst wären wir arbeitslos. Los geht’s: Das ist tatschlich seit mehr als 100 Jahren im BGB geregelt. § 616 BGB sagt folgendes:

“Der zur Dienstleistung Verpflichtete wird des Anspruchs auf die Vergütung nicht dadurch verlustig, dass er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird…”

Jetzt braucht man nur noch einen Haufen Juristen, die sich darüber hermachen. Ist der Gerichtstermin (sogar gegen den eigenen Arbeitgeber) ein “persönlicher” Grund, gar “ohne Verschulden”? Schließlich hat der Typ doch selbst geklagt, mehr Vorsatz geht ja gar nicht!!! Also: Mein Termin im Zahlungsverfahren gegen den Arbeitgeber – bezahlte Arbeitszeit oder nicht? Der Mandant wartet!

Der Anwalt checkt erst mal die Kommentare, um zum wiederholten Male festzustellen, dass die vor allem Geld kosten, Zweifelsfragen aber nicht beantworten. Also Vorsicht:

Meinung 1 (“Nein, natürlich nicht, warum auch?”): Prominente Vertreter: Rüdiger Krause (Universität Göttingen, in: HWK, 4. Aufl. 2010, § 616 BGB, Rd.-Nr. 27, Fußnote 10). Begründung: Keine. Aber die Fußnote verweist auf die Entscheidung des BAG (auch ein Argument!) vom 04.09.1985 – 7 AZR 249/83 = AP Nr. 1 zu § 29 BMT-G II. Diese Einordnung des Textes in der AP lässt Böses ahnen – hat der Bibliothekar der AP ein besseres Gespür als der Universitätsprofessor? Ja! Denn die Entscheidung beantwortet die Frage gar nicht. Dort ging es um einen Tarifvertrag, der die Anwendung von § 616 BGB ausschließt. Da das anerkanntermaßen möglich ist, ging der Arbeitnehmer leer aus. Nur fällt eben nicht jeder unter den BMT-G II (liebe Strafrechtler: Das ist wirklich ein Tarifvertrag. Mit Betäubungsmitteln hat das nichts zu tun!). HWK also: Der sichere Weg in die Unsicherheit. Schnell noch bei Küttner geschaut (Personalbuch 2010, Arbeitsverhinderung, Rd.-Nr. 6 – Bearbeiter: Thomas Griese, Vorsitzender Richter am LAG Köln). Dasselbe Fehlzitat. Ergebnis: Keines, jedenfalls kein verlässliches.

Also zu Meinung 2: Wir suchen mal beim BAG. In der Entscheidung vom 13. 12. 2001 – 6 AZR 30/01 = NZA 2001, 1105 (Revision zu einem Urteil des LAG Köln – Mensch, Herr Griese – den Küttner mal überarbeiten…) steht der schöne und staatstragende Satz:

 

“Die Pflicht, vor Gericht als Zeuge zu erscheinen und auszusagen, hat Vorrang vor jeder Berufspflicht und befreit daher auch von der Arbeitspflicht, soweit sie zeitlich mit dieser zusammentrifft…”

Schön, nicht? Nur keine Antwort auf die Frage! Denn wer in eigener Sache vor Gericht erscheint, ist kein Zeuge, sondern – allenfalls – zur Sachaufklärung geladen und kann sich (anders als der Zeuge) auch noch vertreten lassen (§ 141 ZPO). Also wieder nix. Die haben das noch nicht entschieden!

Ok. Dann zur letzten wahren Instanz, die auch diesen kleinen Beitrag inspririert hat:

Meinung 3, sozusagen. Das LAG Hamm (Urt. v. 2.12.2009 – 5 Sa 710/09) hat sich entschieden für – “ja klar bekommt er Geld!”. Und warum? Nachlesen. Im Wesentlichen lautet die Begründung: “Warum nicht?”.

Puh.

Kein Anwalt kann also einen verbindlichen Rat geben. Warum ist so ein Mist eigentlich noch ungeklärt. Aber der letzte Satz des LAG Hamm gibt Hoffnung:

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.”

Wir sind eben in Deutschland. Aber einen Termin beim BAG kann man bislang noch nicht erkennen…