Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
30.09.2011

Geben und Nehmen

Die Betriebsrätin in unserem Fall (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 8.07.2011 – 6 Sa 713/10) sagte öffentlich, und zwar in einem Rundfunkinterview, bei ihrem Arbeitgeber ginge es rechtswidrig zu. So würden Arbeitszeitgesetze nicht eingehalten und Mitarbeiter um ihre Pausenzeiten betrogen.

Dieser Äußerung folgten zwei Kündigungen. Mit höchst unterschiedlichen Ergebnissen – und einem neutralen Effekt:

Zunächst fristlos. Wegen Betriebsschädigung. In Deutschland kann man als sog. Whistleblower gefeuert werden, wenn man von einer Straftat Kenntnis hat, die im Betrieb begangen wird, aber keine interne Klärung versucht, bevor man zur Staatsanwaltschaft geht. Nun sind auch Staatsanwälte, so hört man, medienaffin geworden. Aber dennoch etwas vertraulicher als – z.B. – ein Fernsehinterview.

Auch deshalb überrascht es etwas, dass das LAG Rheinland-Pfalz die Kündigung für unwirksam erklärte, wenn wir hier auch keinen lupenreinen Whistleblower haben. Einfach mal so ein paar Behauptungen zum Arbeitgeber in die Kamera zu sprechen, wo doch Politiker manchmal lieber nichts sagen, um die “Märkte” nicht zu stören…zweifelhaft. Aber das LAG meint eben: Die Betriebsrätin müsse entscheiden, wozu sie nach ihrem Amtsauftrag verpflichtet sei. Ein wenig bedenklich ist das schon – Sonderrecht für Betriebsräte? Dabei übersehen ein paar Schlagzeilen zum Urteil übrigens, dass die konkreten Äußerungen keine Frage der Meinungsfreiheit waren. Ob Pausen eingehalten und bei Arbeitszeiten betrogen wird, kann man überprüfen. Es sind reine Tatsachenbehauptungen, und die in die Öffentlichkeit zu tragen, kann außerhalb des Arbeitsrechts manchmal schon dann zu Sanktionen führen, wenn sie wahr sind, aber ein berechtigtes Interesse zur Öffentlichmachung fehlt. Die Ehre des Gerichts kann man nur noch damit verteidigen, dass der Arbeitgeber den Sachverhalt – merkwürdigerweise – nicht bestritten hat. Das rückt ihn auch in kein optimales Licht. Aber ein Freibrief, einfach Betriebsinterna in die Welt zu setzen, kann man dem Urteil wahrlich nicht entnehmen.

Die so gerettete Betriebsrätin fliegt trotzdem raus.

Wie bitte?

Ja. Im gleichen Urteil. Der Arbeitgeber hat den Betrieb geschlossen und gleich eine betriebsbedingte Kündigung hinterhergesetzt. Die wird im selben Urteil abgehandelt. Und das LAG findet sie wirksam.

Das ist dann wohl der klassische Pyrrhussieg. Fragt sich nur, warum man die Lösung nicht auch im Vergleichswege finden konnte, sondern ein LAG dafür brauchte.

Schon kommentiert, nur andernorts:

Beck-Blog: http://blog.beck.de/2011/09/29/arbeitgeber-muss-oeffentliche-kritik-durch-betriebsrat-hinnehmen