Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
10.10.2011

Fluglotsen-Streik, Friedenspflicht verzweifelt gesucht

Für alle, die fliegen – mich eingeschlossen, ich muss am Dienstag ran – ist die Ankündigung von Fluglotsenstreiks („Himmel geschlossen; „Chaos im Flugverkehr“) ein echtes Angstmoment. Für Vielflieger vielleicht sogar ein Grund zur Panik…

Da bleibt die Frage nicht aus: Kann man einfach so streiken, warum reden alle ständig von einer Friedenspflicht und warum heißt es hier jetzt immer, die Lotsen müssten Streiks „24 Stunden vorher ankündigen“? Mit anderen Worten: Wo steht das?

Kann man sich einfach machen: Nirgends.

Streikrecht ist nicht kodifiziert, es ist nicht aufgeschrieben, es ist reines Richterrecht.

Die Fluglotsen haben einen Tarifvertrag. Aus § 1 TVG und Art 9 GG kann man (nur mit der Fantasie eines Juristen freilich) herauslesen, dass Tarifverträge ja keinen Sinn haben, wenn man während ihrer Laufzeit trotzdem streiken kann. Streiks sind daher (etwas simpel ausgedrückt) nur zulässig, wenn man (a) entweder etwas durchsetzen will, das in einem Tarifvertrag noch nicht berücksichtigt ist oder (b) der bisherige Tarifvertrag durch Zeitablauf oder Kündigung geendet hat. Das ist sie, die Friedenspflicht.

Streiks muss man auch nicht generell ankündigen. Aber Vereinbarungen der Tarifvertragsparteien über die Schranken dieses Streikrechts sind zulässig und auch nicht unüblich: In der Metallindustrie, wo die Schäden eines Streiks für einzelne Unternehmen gewaltig sein können. Auch bei der Flugsicherung, weil man der Menschheit eine Ankündigungsfrist einräumen will und es nicht für akzeptabel hält, dass der Flugverkehr von jetzt auf gleich zusammenbricht. Alles Vertragssache also. Ob gestreikt wird, entscheidet die Gewerkschaft aber natürlich selbst. Falls ja, schließt sich der Himmel am Mittwoch.

Mit dem knappen Entkommen vom Stuttgarter Flughafen habe ich ja Erfahrung. Letztmalig richtig dramatisch war es allerdings vor längerem das letzte Mal – auf dem Rückweg vom Ossi-Prozess, bei dem ohnehin keine Schwierigkeit ausgelassen wurde. Denn am Abend der Rückkehr spuckte der notorische isländische Vulkan Eyjafjallajökull so viel Staub aus, dass es der Flugsicherung reichte, und ich bin buchstäblich der letzte Ankömmling in Berlin gewesen. Mal sehen. Gewerkschaften sind ja nicht halb so schlimm wie Vulkane.

PS.: Stellen Sie sich übrigens mal vor, es gäbe zwei Gewerkschaften der Fluglotsen, die große „FLUGILOTSI“ und die kleine „STARTREKKER UNION“. Da können Sie, während Sie auf den Start warten, mal im Geiste durchgehen, warum Arbeitgeber mit dem Wegfall der sog. Tarifeinheit solche Probleme haben. Wenn es beliebig viele Tarifverträge in einem Betrieb geben darf, heißt dass, dass nur FLUGILOTSI eine Friedenspflicht hat, wenn die einen Tarifvertrag unter Dach und Fach haben – die STARTREKKER UNION darf natürlich zeitgleich weitermachen, um ihren eigenen Tarif durchzusetzen. Im Albtraumbild ist das permanenter Streik – ganzjährig…