Es ist zum Jammern, gerade zu Weihnachten (keine Sorge, „Mischcharaktere“ haben keine rassistische Konnotation, also lesen Sie weiter).
Wie schön, das Bundesarbeitsgericht äußert sich kurz vor dem Advent zum Weihnachtsgeld. Dass ver.di gerade in einer völlig absurden Umfrage die bahnbrechende Erkenntnis lanciert hat, die Leute fänden Weihnachtsgeld prima, ja, Frank Bsirske sogar zu einer Aktionswoche Weihnachtsgeld aufrufen ließ, der DGB verbreiten lässt, online hätte sich – völlig überraschend durch ein paar hundert zufällige Klicks – ergeben, dass man eher Weihnachtsgeld bekomme, wenn man tarifgebunden sei: Alles Zufall, die BAG-Entscheidung ist natürlich von den Verfahrensgegebenheiten bestimmt.
Aber es passt. Und ist traurig.
Fangen wir mal mit Markus Stoffels im Beck-Blog an, eloquent und höflich beschließt er seine Besprechung des Urteils vom 13.11.2013 (10 AZR 848/12) mit den Worten:
Es bleibt zu hoffen, dass alsbald weitere höchstrichterliche Entscheidungen Klarheit über die maßgeblichen Abgrenzungskriterien herbeiführen.
Nur fragt man sich, ob man das hoffen oder fürchten soll.
Weihnachtsgeld gibt’s meist einmal im Jahr. In jungen (Anwalts-)-Jahren ohne jede praktische Erfahrung hatte mich immer gewundert, dass die Zahlung trotz ihrer Bezeichnung nicht zu Weihnachten, sondern meist im November kommt. Für alle ähnlich Unbegabten: Käme sie mit dem Dezembergehalt, könnte man keine Weihnachtsgeschenke mehr kaufen (allenfalls die fürs kommende Jahr). So wäre das auch mal geklärt.
Dem Weihnachtsgeld lag im Fall des BAG eine klare Abrede zugrunde.
In dem Schreiben für das Jahr 2010 hieß es u.a., die Zahlung erfolge „an Verlagsangehörige, die sich am 31.12.2010 in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis“ befänden; Verlagsangehörige sollten für jeden Kalendermonat mit einer bezahlten Arbeitsleistung 1/12 des Bruttomonatsgehalts erhalten. Im Lauf des Jahres eintretende Arbeitnehmer erhielten die Sonderzahlung nach den Richtlinien anteilig. Das Arbeitsverhältnis des Klägers endete aufgrund seiner Kündigung am 30. September 2010. Mit der Klage hat er anteilige (9/12) Zahlung der Sonderleistung begehrt.
Der Kläger hatte alle Instanzen verloren. Bis das BAG ihm half.
Nun fragt man sich: Wie kann das sein? Klarer geht es ja eigentlich nicht. Wenn das Arbeitsverhältnis am 31.12. nicht (mehr) besteht, gibt es kein Geld. Beide Seiten wissen, was sie damit unterschreiben.
Das BAG sieht das anders:
Die Klausel benachteiligt den Kläger unangemessen. Sie steht im Widerspruch zum Grundgedanken des § 611 Abs. 1 BGB, weil sie dem Arbeitnehmer bereits erarbeiteten Lohn entzieht. Der Vergütungsanspruch wurde nach den Richtlinien monatlich anteilig erworben.
So etwas heißt dann
Sonderzahlung mit Mischcharakter und Stichtag.
Man muss für alles einen Namen haben. Viel Gutes steckt in einer Betrachtungsweise, wie das BAG sie anlegt: Ist doch fies, ein dreiviertel Jahr zu arbeiten und nichts zu bekommen (wir reden nur von der Einmalzahlung!), nur, weil am 31.12. der Vertrag nicht mehr bestand. Hätte man am 1.10. angefangen und wäre am 2.01. wieder gegangen, hätte es ja etwas gegeben.
Ich weiß. Nur: Warum nehmen wir das geschriebene Wort nicht ernst? Vereinbarung ist Vereinbarung, pacta sunt servanda, Verträge muss man einhalten – warum schreibt man das auf, wenn man es nachher wegputzten kann, mit den „Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen“?
Das BAG hat spätestens 2009 (Urteil vom 1. 4. 2009 – 10 AZR 393/08) angefangen, die Dinge rein kapitalistisch zu sehen:
Wer Geld bekommt, bekommt es eigentlich ausschließlich wegen seiner Arbeitsleistung. Freischwebende Gedanken wie „Betriebstreue“, „Gratifikation für ein erfolgreiches Jahr“ sind zweitrangig bei einer Auslegung – es geht eben nur ums Geld. Würde der Arbeitnehmer nichts leisten, bekäme er das Geld auch nicht, egal, wie man die Zahlung nun nennt.
So weit, so neoliberal. Allerdings stellt sich dann jede Bedingung zu diesem einmalig im Jahr ausgeschütteten Geld als Beschränkung eines bereits erarbeiteten Anspruchs dar; man strampelt 11 Monate und 29 Tage, aber weil man am Stichtag nicht mehr da ist, bekommt man gar nichts von der Ausschüttung. Und genau diese Beschränkung kann dann ohne weiteres unwirksam sein, als unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 307 Abs. 1 BGB.
Spätestens jetzt ist klar, dass die geradezu libertäre Auffassung, eine Sonderzahlung sei so auszulegen, dass sie vergangene Arbeit belohne, zwangsläufig dazu führt, dass ein Richter (oder ein Senat aus lauter Richtern) in meinen Vertrag eingreifen kann. Nachträglich.
Noch dazu erkennt das BAG ja an, dass Hauptleistungspflichten, insbesondere die Entgeltabrede, gar nicht der Inhaltskontrolle unterliegt, sondern lediglich dem sog. Transparenzgebot genügen muss (Urteil vom 30. 11. 2010 – 3 AZR 798/08). Was anderes ist denn die Einigung über die Gratifikation? Ja, sie hat ein zufälliges, willkürliches Element – aber wer verbietet das, wenn es transparent und klar erfüllt ist? Die Gewinnbeteiligung in einem Dienstvertrag ist auch von Zufällen abhängig und hat manchmal fast Wettcharakter. Verboten ist sie deshalb nicht, nur, weil man ein Jahr alles gibt und dann doch kein Gewinn erzielt wird.
Warum also hier?
Ich will laut „Einspruch“ rufen. Es kann – im Ergebnis – nicht stimmen, dass ich die Belohnung an ein Datum oder Ereignis binde, und man mir das danach mit dem Schrei „ungerecht“ (oder eben „unangemessen“) aus der Hand schlägt. Das ist zu wenig Respekt vor dem geschriebenen Wort. Als Vertragsauslegung wäre es – ein typisches AGB-Phänomen – nicht möglich: Es würde dem Willen der Parteien widersprechen. Weil ein Teil der Bedingungen durch die Anwendung des AGB-Rechts wegfällt, tritt nun genau dieser unerwünschte Effekt durch die Hintertür ein.
Deshalb freue ich mich nicht auf die höchstrichterliche Klarstellung zu den Auslegungskriterien – die freilich erst noch kommen muss. Wer weiß, wann? Und glauben Sie, es wird dann einfacher? Ich nicht. Wir werden uns – wie vor 2009 – bei jeder Gratifikation fragen, was für einen „Charakter“ sie hat. Statt den Vertrag der Parteien ernst zu nehmen. Die Frage nach dem „Charakter“ ist sowieso perfide. Wer kann schon viel über den Charakter eines anderen sagen…?
Hier noch Liz Collet (optisch deutlich ansprechender als das Beck-Blog).