Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
17.12.2012

Einmal “Mengele” ist genug…

Es gibt für Talkshows einen Index, der misst, wann der erste Teilnehmer mit einem unpassenden Nazivergleich kommt. Je länger die Zeitspanne dauert, desto besser die Talkshow.

Im Arbeitsrecht sind Nazivergleiche auch außerordentlich beliebt. Bei Mitarbeitern, die dann eine Kündigung bekommen. Warum sie trotzdem nicht aufhören, lässt sich vermutlich nur von Soziologen erklären.

Auch Josef Mengele, der Lager-”Arzt” von Auschwitz, fällt einem beim Stichwort “Nazi” ein.

Mengele ist wegen seiner Menschenexperimente, seines ultimativen Verrats am hippokratischen Eid und seiner stillen, kalten Grausamkeit eine besonders unheimliche Figur, nicht zuletzt, weil viele Forscher rätseln, was ihn getrieben hat. Weder auffälliger Naziideologe noch durch besonderen Rassismus oder Antisemitismus hervorgetreten, als er noch jünger war, fehlt es schon an der oberflächlichsten Erklärung, die sein Handeln begreifbar machen würde. Er war einfach nur und ausschließlich kalt und bösartig.

Ärzte werden auch deshalb, weil sie denselben Beruf wie Josef Mengele ausüben – der Form nach jedenfalls – ungern mit ihm verglichen. Das kann man verstehen.

Als deshalb ein Arzt eines Berliner Krankenhauses während einer längeren OP seinen Chef als “Josef” beschimpfte (wobei beide Parteien bestätigen, dass klar war, wie es gemein war…), flog er raus.

Das Arbeitsgericht Berlin fand nicht, das reiche für eine Kündigung, gar eine fristlose.

Die zuständige Kammer fand es von Bedeutung, ob die Äußerung mehrfach oder nur einmalig gefallen war. Weil der Arbeitgeber von einer Wiederholungstat ausgeht, hatte das Gericht ihn beauflagt, die anderen Vorfälle unter Beweis zu stellen. Das hat er absichtlich nicht getan, um nicht Heerscharen von Zeugen in das Verfahren zu ziehen, die noch miteinander arbeiten sollen, auch nach dem Verfahren. Einmal Mengele reicht, meinte der Arbeitgeber – und verlor.

Er wird, das ist angekündigt, in die Berufung gehen. Dort wird er hoffentlich Erfolg haben. Denn er ist im Recht, moralisch wie rechtlich. Diese Frage ist überwiegend eine moralische: Das Kündigungsrecht ist hier nämlich eine Wertungsfrage – ist die weitere Zusammenarbeit unerträglich, „unzumutbar“ (§ 626 Abs. 1 BGB)? Die Antwort, meinen wir, kann nur “ja” lauten. Jede andere Antwort im Kontext eines Krankenhauses wäre eine Instinktlosigkeit ohne Beispiel. Wenn ein Arzt “Josef” als Beleidigung missbraucht, weiß er, was er macht, und wenn er es nicht weiß, muss er es lernen. Das Gelernte kann er dann im nächsten Job anwenden. Sein bisheriger Arbeitgeber muss ihn geradezu vor die Tür setzen. Ein Arzt ist ein umfassend akademisch gebildeter Mensch, kein Lagerist oder Lkw-Fahrer, dem mal in der Hitze des Gefechts eine Beleidigung, aber wohl auch keinen Nazivergleich durchgehen lassen würde.

Wollen Sie anders entscheiden? Dreimal „Mengele“ soll reichen, ein Mal nicht? Das ist geradezu atemberaubender Wahnsinn. Härter kann eine Beleidigung nicht mehr ausfallen, zumal innerhalb der Ärzteschaft. Das Arbeitsgericht Berlin hat eine völlig untragbare Entscheidung getroffen – und Berlin vielleicht allein deshalb keinen Skandal, weil keine Prozesspartei krankhaft nach Öffentlichkeit giert. Es solle keine absoluten Kündigungsgründe geben, sagte wohl die Vorsitzende in der Verhandlung. Das stimmt im Allgemeinen; aber wir sollten alle wissen: Josef Mengele ist eben doch ein absoluter Kündigungsgrund. Weil das Gesetz nicht das Recht, das Recht nicht die Gerechtigkeit und diese nicht die Geschichte vergessen darf.

Sollte ein Richter nicht einmal das Stichwort “Mengele” in der Wikipedia finden? Oder im Konversationslexikon? Kaum zu glauben. Wer das Stichwort gefunden hat, muss diese Dimension der Bösartigkeit eigentlich begreifen. Wenn Azubis ihren Ausbilder nicht als “Menschenschinder” bezeichnen dürfen – warum darf ein Arzt einen Kollegen mit dem absolut Bösen seines Berufsstandes gleichsetzen? In der Tat: Manche Juristen sind furchtbar – hat schon Rolf Hochhut über unseren Berufsstand geschrieben, wenn auch in einem Zusammenhang, in den das hier erkennende Gericht seinerseits unfair gestellt wäre. Die bloße Abstraktion des Rechts ohne Bindung an Moral und Geschichte, dieser Vorwurf bleibt jedenfalls kleben, führt zu untragbaren Ergebnissen, die juristisch einwandfrei begründbar sind. Schade.