Sie kennen § 613a BGB? Das ist die Vorschrift zum sog. „Betriebsübergang“. Übernehmen Sie einen Betrieb, erben Sie sozusagen kraft Gesetzes alle Arbeitsverhältnisse, wie sie stehen und liegen.
Die Vorschrift gibt es schon lange und aus gutem Grund. Sonst könnte ich die ganze Belegschaft feuern, nur weil ich Ihnen den Betrieb übertrage. Sie dürften sich neues Personal suchen. Die bisherigen Arbeitnehmer müssten zu Ihnen angekrochen kommen. Der Typ mit 26 Jahren Betriebszugehörigkeit bettelt dann um einen Vertrag mit zwei Jahren Befristung oder weniger, nur, um an seinen alten Arbeitsplatz zurückzukehren. § 613a BGB ist dazu da, um genau das zu verhindern.
Manchmal ist gut gemeint nicht gut gemacht, die Vorschrift ist aus Brüssel, Luxemburg und leider auch Erfurt – dort nicht immer freiwillig – ziemlich vermurkst worden, im Laufe der Jahre. Sie führt aber meist zu einigermaßen haltbaren Ergebnissen. Sie hat auch den Komödienstadl bereichert, durch folgende – denkwürdige und zu Berühmtheit gelangte – Erwägung des 8. Senats des BAG (BAG, Urteil vom 13. 7. 2006 – 8 AZR 305/05, dort Rd.-Nr. 26):
In inhaltlicher Hinsicht ist es auf Grund des Zwecks der Unterrichtung erforderlich, dass der Betriebsübernehmer grundsätzlich mit Firmenbezeichnung und Anschrift genannt wird, so dass er identifizierbar ist…Es kann noch dahingestellt bleiben, ob bereits die fehlerhafte Bezeichnung des Vornamens des Geschäftsführers der Erwerberin (Jochen/Joachim) einer ordnungsgemäßen Unterrichtung entgegensteht…
Das heißt übersetzt:
Die Unterrichtung über den Betriebsübergang hätte auch falsch sein können, alleine weil der Name des Geschäftsführers in diesem telefonbuchähnlichen Dokument Joachim und nicht Jochen (wir er eben hieß) lautete. Folge: Der Arbeitnehmer konnte auch nach Jahren widersprechen und zu seinem alten Arbeitgeber zurückgehen.
Murks war auch, was der 8. Senat des BAG am Donnerstag zu entscheiden hatte (Urteil vom 25. Oktober 2012 – 8 AZR 572/11 – PM). Der Murks lag aber ganz auf Seiten der Arbeitgeber im Verfahren. Die hatten sich folgenden (überspitzt dargestellten) Ablaufplan ausgeklügelt:
1. Akt
Der Vorhang geht auf. Der Berater erklärt dem Publikum:
Wir wollen Betrieb A aus der Insolvenzmasse verkaufen. Die Arbeitnehmer sind alles alte Säcke – äh – lang betriebstreue Arbeitnehmer – die sind sauteuer – äh, tariflich hoch eingestuft, weil sie schon so lange dabei sind. Der Investor hat darauf echt keinen Bock.
Die Bühne füllt sich mit der Betriebsversammlung. Alle Arbeitnehmer von Betrieb A schlurfen rein.
Der Berater:
Liebe Arbeitnehmer! Wir haben Ihnen mehrere Papiere vorbereitet. Bitte unterschreiben Sie zum Erhalt Ihres Arbeitsplatzes jetzt mal nur das erste.
Alle kritzeln. Das Papier hebt den Vertrag mit Betrieb A auf (sog. Aufhebungsvertrag). Betrieb A hat vorsorglich schon mal selbst unterschrieben. Der Arbeitnehmer ist nun nicht mehr bei Betrieb A. Damit er das nicht so schlimm findet, gibt es in dieser Aufhebungsvereinbarung noch einen Dritten (Jurastudenten wissen: Kommt der „Dritte“, ist der „unerkannt geisteskranke“ nicht weit weg). Er heißt „BQ“ („Beschäftigungs- und Qualifizierungsbetrieb, manche sagen Müllabladeplatz dazu). Der verpflichtet sich, den Arbeitnehmer nach seinem soeben vollzogenen Ausscheiden bei sich für xy Monate zu beschäftigen.
Der Berater:
So, und jetzt erzähle ich Ihnen noch ein bisschen was: Bla, Bla, Bla [Geschichte vom Pferd]
Es vergehen 30 Minuten.
Berater:
Jetzt unterschreiben Sie das zweite Dokument.
Alle kritzeln.
Das zweite Dokument ist ein großzügiges Angebot des Investors I, der den Arbeitnehmern einen Arbeitsplatz in seinem neuerworbenen Betrieb anbietet: Überraschung – in Betrieb A, den hat er nämlich gekauft. Es ist auch immer noch dieselbe Werkbank und derselbe Schreibtisch.
Berater:
Sie müssen nur verstehen, dass I ja den Betrieb erst gekauft hat. Da sind riskante Risiken drin!!! Wenn er alle Arbeitsplätze erhalten will, kann er Ihnen natürlich nicht anbieten, was Sie früher hatten. Erst mal gibt’s befristet Verträge zu miesen Konditionen. Alle einverstanden?
Alle nicken und liefern die unterkritzelten Vereinbarungen ab.
2. Akt
Arbeitnehmer THX 1138 kommt nach zwei Jahren an das Ende seines befristeten Vertrags. Bei A hatte er vor dieser Aktion 45 Jahre gearbeitet (übertrieben). I will den Vertrag nicht „verlängern“. THX 1138 klagt und gewinnt. Auch beim Bundesarbeitsgericht.
Zwischen der Aufhebungsvereinbarung und der Unterschrift unter den Neuvertrag liegen exakt 30 Minuten, in denen ein Arbeitsvertrag mit BQ bestand (was mich namentlich immer an DIY erinnert). Das soll der Grund sein, dass die Arbeitsverträge eben nicht mit ihrem Besitzstand „vererbt“ werden, sondern man um seinen eigenen Arbeitsplatz betteln muss.
Finis
Das BAG hat in der Pressemitteilung trocken formuliert:
Die Beklagte kann sich auf die Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses durch den vom Kläger mit der B & Q geschlossenen Arbeitsvertrag, der nur eine halbe Stunde bestand, nicht berufen. Nach den Umständen, unter denen dieser Vertrag zustande kam, erschien es klar, dass er dem Zweck diente, die Kontinuität des Arbeitsverhältnisses zu unterbrechen und die Rechtsfolgen des § 613a BGB zu umgehen.
Ja, so kann man das sagen.
Man kann auch fragen, ob die Beteiligten eigentlich einen an der Waffel gehabt haben. Aber für Waffelfeststellungen ist die Gerichtsbarkeit nicht zuständig.
Das Berufungsurteil aus Köln (25.02.2011 – 3 Sa 673/10) ist übrigens auch lesenswert; esenthüllt den vollen Sachverhalt.