In der „Affäre Wulff“ war bisher nichts für Arbeitsrechtler drin (fristlose Kündigung? Nicht beim Staatsoberhaupt; Ehrensold – keine Frage der betrieblichen Altersvorsorge, denn die wird ja aus Rücklagen finanziert, der Ehrensold auf Pump in Hoffnung auf künftige Steuereinnahmen). Es geht auch gar nicht um Christian Wulff, sondern um Christiane. Das ist seine frühere Frau.
Wie jetzt verschiedentliche berichtet wird, kamen sie und der Vorstand des Wirtschaftsprüfungsriesen PWC (Norbert Winkeljohann) jetzt ins Fadenkreuz der Staatsanwaltschaft. Sie wird sich bedankt haben, von Christian W. hatte Christiane aller Vermutung nach genug. Winkeljohann war ein Nachbar der (früheren) Wulf-I-Familie. Angeblich soll er der Ex-Frau ein Scheinarbeitsverhältnis besorgt haben, und das ist für die Öffentlichkeit dann den erneuten Aufschrei wert.
Was heißt das eigentlich?
Frau Christiane Wulff ist Juristin und fand nach ihrer Trennung anscheinend Arbeit bei Schindhelm Rechtsanwälte. Die teilen mit meiner Kanzlei das Schicksal, eine der wenigen Anwalts-GmbHs zu sein, die es in Deutschland gibt. Den Job hat ihr angeblich Herr Winkeljohann vermittelt. Das ging leicht, weil Schindhelm ein „spin-off“ von PWC ist. Man kennt sich. (Ich höre schon das scheinwissende Raunen im Publikum). Gearbeitet hat sie – angeblich – nie bei Schindhelm, sondern bei PWC. Als „wissenschaftliche Mitarbeiterin“. Scheinarbeitsverhältnis, schreien jetzt manche und meinen, die Staatsanwaltschaft habe das zu interessieren. Wirklich? – Und: Warum macht man so etwas überhaupt?
Das Wörtchen „Scheinarbeitsverhältnis“ werden Sie in irgendwelchen Gesetzen nicht finden (so wenig wie seinen berühmten Cousin, die „Scheinselbständigkeit“).
Man nennt so ein Arbeitsverhältnis, das gar keins ist, weil nicht gearbeitet wird. Es wird aber trotzdem bei der Sozialversicherung angemeldet. § 7 SGV IV setzt dafür aber ein „Beschäftigungsverhältnis“ voraus. Während die Abgrenzung zwischen diesem Begriff und der (sozialversicherungs-)freien Mitarbeit fast immer misslingt, ist umgekehrt genauso klar: Wo nicht gearbeitet wird, gibt es keine Beschäftigung, also auch keine Sozialversicherung.
Gerade bei Freiberuflern gibt es so etwas immer wieder – aus familiärer Gefälligkeit vor allem. Tante Erna braucht noch 8 Monate, um ihren Rentenanspruch zu erwerben? Sie kann bei Onkel Theo in seiner Steuerberaterkanzlei anfangen, als Aushilfe. Zum Schein. Theo zahlt auch Sozialversicherungsbeiträge, aber Erna kompensiert ihn hintenrum. Schlimm?
Ein wenig, ja.
Die Kassen bekommen zwar Beiträge. Aber sie müssen auch leisten. Wenn Erna in der Zeit ihre Chemotherapie für 600.000 EUR macht, war das ein schlechtes Geschäft. Für die Kasse, die gar nicht versichern musste. Deshalb erkennen die Sozialgerichte die Leistungsansprüche auch rückwirkend ab. Gegenüber den Trägern kann das ein Betrug (§ 263 StGB) sein: Ihnen wird eine Beschäftigung ja nur vorgespiegelt, tatsächlich schlürft Erna zu Hause Kaffee. Dafür erleiden sie erhebliche Vermögenseinbußen.
Für Theo ist das zumindest dann mies, wenn er Geschäftsführer einer GmbH (Schindhelm…) oder AG (PWC…?) ist. Die hat ein Eigenleben, und ihr gegenüber ist das Ganze eine strafbare Untreue (§ 266 StGB) – wenn die Gesellschaft nicht 100% zurückerstattet bekommt. Denn die Gesellschaft zahlt für etwas, das sie nie bekommt, die Arbeit eben. Diese Folge ist den meisten Theos unbekannt.
Also – auch die Ex-Frau im Sumpf, mit Wulff II und PWC?
PWC behauptet, dass Schindhelm habe von PWC 100% Kostenerstattung bekommen. Christiane W. habe gearbeitet, nur eben bei PWC. Ist das nachweisbar, entfallen aber alle strafrechtlichen Vorwürfe, s.o. (wobei wir mal gehört haben, den Nachweis der Straftat müsse die Staatsanwaltschaft erbringen…). Warum erst der ganze Aufwand? Auch dafür gibt es eine Erklärung. PWC wollte Presseberichte vermeiden. Die prüfen nämlich auch Volkswagen, und da war Wulff bekanntlich kraft Amtes zeitgleich Aufsichtsrat. Die Ehefrau nach Trennung beim Wirtschaftsprüfer von VW entsorgt, das wäre damals sicher eine Schlagzeile gewesen. Die Sorge war also nicht ganz unberechtigt. Sie wirft ein schräges Licht – erneut – auf Christian Wulff, der wieder so aussieht, als verquicke er Amt und Mandat. Christiane scheint, stimmt die PWC-Darstellung, nicht angreifbar zu sein. Sie bekam Hilfe in der Not und hat dafür auch gearbeitet.
Bei dem Rummel gerade kann man ihr Ruhe wünschen, auch vor weiterer Berichterstattung. Unter Wullfs Affäre leiden viele Unbeteiligte (Wuff I und II haben jeweils Kinder), und Christiane W. ist insoweit wirklich unbeteiligt. Keine Staatsanwaltschaft braucht das Sahnehäubchen eines möglichen Scheinarbeitsverhältnisses zu ermitteln. Es gibt genug Akten über den Ex-Mann. Wirklich.
Lesenswert: Fragen der Scheinselbständigkeit, ein verwandtes Thema, erörtert Rainer Göhle in einem eigenen Blog: http://scheinselbstaendig.blogspot.com/2012/02/scheinselbstandigkeit-was-tun-wenns.html.