Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
23.08.2010

Diskriminierung Nichtreligiöser ist gar keine Diskriminierung?

 Während der Verfasser seinen sicher unverdienten Urlaub machte, war das BAG fleißig und hat das AGG weiterentwickelt. Am 19.8.2010 entschied der 8. Senat, dass sich eine Bewerberin nicht „indiziell” auf eine Diskriminierung berufen könne, wenn sie sich nicht in einer „vergleichbaren Bewerbungssituation” wie andere Bewerber befunden habe (???). Bevor Sie aufhören zu lesen oder zum Rotstift greifen und so etwas wie „Ausdruck - setzen - 6!” rufen: Das kann man (zum Teil) sogar sprachlich verstehen, wenn man tiefer in die Sache eindringt. Versuchen wir es. Der Fall hatte Aufsehen erregt, weil er schön griffig klingt: Muslimin bewirbt sich bei evangelischer Kircheneinrichtung und wird abgelehnt. Sauber. Sauber… Durch drei Instanzen war die Klägerin trotzdem erfolglos. Die Gründe dafür sind eine Tour de Force durch alles, was im Augenblick beim AGG weh tut. Vor allem ist das zur Zeit das Kirchenarbeitsrecht. Die Einrichtung, um die es ging, machte in ihrer Stellenanzeige eine Einstellung von der Zugehörigkeit zu einer „christlichen Kirche” abhängig. Die Bewerberin sagte, jedenfalls berichtet das die Tageszeitung “taz”, bei ihrem Bewerbungsgespräch, sie praktiziere keine Religion, habe aber aufgrund ihrer türkischen Herkunft einen „muslimischen Hintergrund”. Nach dem „Migrationshintergrund” gibt es jetzt auch den „muslimischen Hintergrund” (wir dachten mal, in der Türkei gäbe es auch noch andere Religionen, so dass die Kausalität vielleicht etwas waghalsig ist…Hat ein jüdischer Iraner dann einen „muslimischen Hintergrund”, weil das die Mehrheitsreligion ist? Dann haben ja deutsche Muslime einen „christlichen Hintergrund”, weil das hier die Mehrheitsreligion ist, allerdings war die Bewerberin ja ohnehin Deutsche, sie hatte nur einen „Migrationshintergrund”…Fragen über Fragen.) Der Dame fehlte auch etwas anderes, denn in der Stellenausschreibung war die Rede von einem „Hochschulabschluss”, den sie nicht hatte. Glaubt man der “taz”, dann hat sich das BAG nicht an das Kirchenarbeitsrecht getraut. Denn interessant war die Frage, ob man ohne Schaden eine Muslimischhintergündige (oder andere Hintergründige) ablehnen darf, weil sie keiner christlichen Kirche angehören. Der Umstand, dass die Stellenausschreibung das Religionserfordernis enthielt, ist ein Indiz für eine Diskriminierung. Am selben Tag hat derselbe Senat übrigens entschieden, dass eine Stellenausschreibung, die nur „junge” haben will, ein Indiz ist, aus dem man letztlich nicht mehr herauskommt. Das zeigt, wie schmal der Grat ist - denn nach derselben Logik hätte es für den Beklagten auch hier kein Entrinnen geben dürfen - nicht religionsneutral ausgeschrieben… Hier aber meinte der 8. Senat, das Indiz sei - widerlegt? Wertlos? Man weiß es nicht, die Pressemitteilung ist wenig an der Rechtsdogmatik orientiert. Jedenfalls war es egal. Denn es fehlte eben das Hochschulstudium und damit die „vergleichbare Bewerbungssituation”, weil die anderen alle eins gehabt haben…Ist das logisch? Nur nach einem holprigen Maßstab. Noch holpriger wird es, wenn man sich beim BAG anhört, die „Verkehrsanschauung” verlange auch, dass die Stelle ein Hochschulstudium voraussetze. Wie man aus dem eigenen (Jura-)Studium weiß: Wenn einer mit der Verkehrsanschauung, Treu und Glauben oder der Einheitlichkeit der Rechtsordnung kommt, gehen ihm die Argumente aus. Testen Sie selbst! Die Stelle war als Suche zur „Schulung von Multiplikatorinnen/-en im Bereich der beruflichen Integration von erwachsenen Migrantinnen/-en” eine Fachkraft mit abgeschlossenem Studium der Sozialwissenschaft/Sozialpädagogik sowie Erfahrungen in der Projektarbeit und Kompetenzen in der projektspezifischen Thematik” ausgeschrieben. Also ehrlich: Ich bin auch der „Verkehr” und habe keine Anschauung zu den Anforderungen an „Schulung von Multiplikatoren etc. pp.”. Sie vielleicht? Der 8. Senat aber schon. Wozu diese Volte? Hätte der Senat diese Volte nicht gedreht, hätte er einsteigen müssen in die Bewertung, ob man ein Hochschulstudium wirklich als zwingend ansehen muss. Eine solche Bewertung muss ein Arbeitsgericht in jeder Konkurrentenklage vornehmen, möglich ist sie. Angesichts der (einschlägigen) großen Berufserfahrung, die die Klägerin anscheinend hatte, wäre man da wohl ins Schwitzen gekommen. Und hätte vielleicht wirklich die Diskriminierungsfrage behandeln müssen. Natürlich kann man einem Arbeitgeber nicht vorschreiben, Minderqualifizierte einzustellen. Wenn man aber erst ein Hochschulstudium verlangt und dann ein äußeres Zeichen für eine Diskriminierung setzt, muss man - aus Gründen der Einheitlichkeit der Rechtsordnung, ahemm…oder auch der Logik doch auch verlangen, dass er sagen kann, warum er das braucht. Eine „Verkehrsanschauung” ist eine recht billige Ausrede dafür. Das Urteil wäre also widerspruchsfreier, wenn der Senat nach einer Sachprüfung zu Ergebnis gekommen wäre, dass schlicht die Qualifikation ausschlaggebend war. So  spielt man den Kritikern in die Hände, die beständig - und nicht völlig zu Unrecht - den besonderen Schutz der Kirche im Arbeitsrecht bekämpfen. Der Arbeitgeber, der eine „Junge” eingestellt und nur wegen der Formulierung der Stellenanzeige gehängt wurde, obwohl auch er vielleicht ein Qualifikationsproblem sah, wird sich jedenfalls ungerecht behandelt fühlen. Aber Gerechtigkeit ist sicher nicht Aufgabe der Gerichte. Sondern des Glaubens. Womit der Kreis sich schließt.