Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
16.02.2011

Diese Diskriminierung gibt Rätsel auf – die Inverse Diskriminierung

 

Alle Unklarheiten mögen am Text der Pressemitteilung des BAG liegen (im Verfahren vom 15. Februar 2011 – 9 AZR 584/09 – PM 14/11). Aber irgendwie haben wir den Eindruck, Teile des Antidiskriminierungsrechts gerieten außer Kontrolle.

Es gibt einen Tarifvertrag (kein Verbrechen). Scheidet ein (älterer) Arbeitnehmer aus, soll er nicht dem Arbeitslosengeld anheimfallen. Er/sie bekommt ein “Übergangsgeld”, bis er/sie Rente beziehen kann. Wo ist die Diskriminierung?

Nun: Rente können Frauen unter manchen Umständen erheblich früher als Männer bekommen. Manchmal ab dem 60. Lebensjahr. Das benachteiligt die Männer, ist aber Gesetzesrecht und verstößt (jedenfalls nach weit überwiegender und richtiger Meinung) weder gegen Art. 3 GG noch gegen Unionsrecht.

Geklagt hatte aber eine Frau. Hoppla?

Ja, denn sie fühlt sich diskriminiert. Schauen Sie mal: Wenn die Frau ein Mann wäre, dann könnte sie mit 63 (frühestens) in Rente gehen. Sie würde dann nach dem Tarifvertrag auch bis zum 63. Lebensjahr Übergangsgeld bekommen.

Groschen gefallen?

Bei mir noch nicht. Denn offenbar wollte man doch eine Brücke zur Rente bauen, die muss bei Frauen aber – wegen der gesetzlichen Rentenregelung – nicht annähernd so lang sein wie bei Männern. Oder eben 3 Jahre kürzer. Die Frauen kriegen ja auch früher Rente.

Aber nein, sagt die Klägerin. Darauf kommt es gar nicht an. Worauf kommt es dann an? Es kommt einfach darauf an, dass ich drei Jahre weniger Übergangsgeld bekomme.

Aha, wende ich (gedanklich) ein. Aber wenn Du recht hast, dann würdest Du ja – entgegen des erklärten Willens der Tarifvertragsparteien – jetzt noch drei Jahre Übergangsgeld bekommen – neben der Rente. Männer nicht. Oder könnten die dann klagen, weil sie – relativ – wieder benachteiligt sind. Gut, dann geben wir ihnen auch drei Jahre, neben der Rente her. Aber nein: Dann müssen wir bei den Frauen nochmal drei drauflegen; sonst sind die ja wieder drei Jahre hintenan. Und so weiter…Legen wir es gedanklich ad acta. Dachte ich.

Was denkt das BAG? Es denkt scheinbar anders:

“Die Anknüpfung an das gesetzliche Rentenversicherungsrecht kann, wovon das Landesarbeitsgericht zu Recht ausgegangen ist, für sich genommen die unterschiedliche Behandlung von Männern und Frauen nicht rechtfertigen.”

 

?

Ich bin – fassungslos.

Letzte Hoffnung: Irgendetwas verschweigt die Pressemitteilung. Und auch ist nicht aller Tage Abend. Die Sache wurde zurückverwiesen. Passiert oft. Gerade beim 9. Senat…