Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
18.12.2012

Die wahren Spießer sind Betriebsräte…

…und sie glauben, das Recht hinge gegenüber Griechen immer von einer besonders strengen äußeren Form ab. Zu den Griechen später.

Die Rechtsordnung gibt formtreuen Menschen, wenn auch nur in sehr individuellen Konstellationen, oft auch dann Recht, wenn es befremdlich wird, was man beklagen kann, aber allgemein im Interesse der Rechtssicherheit hingenommen wird. Seit jeher schwankt man etwa bei der Frage, ob eine gesetzlich vorgeschrieben Schriftform stets und immer eingehalten werden muss, zwischen dem Gesetzestext (nicht schriftlich, also nichtig) und dem manchmal drängenden Verlangen, einen Gerechtigkeitsausgleich zu bekommen.

Im Arbeitsrecht sind wir besonders spießig, was das anbelangt. Weniger auf Seiten des Rechts als auf Seiten der Streitparteien. So begab es sich, dass ein schwäbischer Betriebsrat vom Arbeitgeber zu einer Kündigung angehört wurde, die er partout zumindest stören wollte. Der Arbeitgeber war aber ein griechisches Unternehmen, das nach griechischem Recht einen Sonderliquidator eingesetzt bekam, der wiederum eine griechische Aktiengesellschaft war. Zu viel komisches Zeug, also hat der Betriebsrat flugs die Anhörung „zurückgewiesen“, weil der Anhörende, ein Rechtsanwalt, keine Vollmacht vorlegen konnte (§ 174 BGB). In Schwaben gab es deshalb eine Klagewelle, die wir als „Vollmachtspingpong“ bezeichnet haben. Die Kläger hatten argumentiert, die Kündigungen seien unwirksam, da wegen der Zurückweisungen keine ordentlichen Betriebsratsanhörungen vorlägen (§ 102 BetrVG). Sie konnten sich auf ein (in „Vollmachtspingpong“ ebenfalls erwähntes) Urteil des LAG Hessen stützen, hatten aber in Schwaben ein geteiltes Echo – einige Kammern meinten so, andere so…

In Erfurt gab es keinen Blumentopf zu gewinnen.

Das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 13. Dezember 2012 – 6 AZR 348/11) fand, dass man die Sache nicht so eng sehen dürfe. Liest man die Pressemitteilung, muss man sich fragen, worüber sich Juristen eigentlich so streiten. Der Zweck des Anhörungsverfahrens, heißt es da, stünde doch einer solchen Förmlichkeit bereits entgegen. Wenn der Betriebsrat der Handlungsvollmacht des Betroffenen misstraue, könne er schließlich beim Arbeitgeber nachfragen. Eine schriftliche Vollmacht in einem Verfahren zu verlangen, für das selbst keine Form vorgeschrieben sei – Betriebsräte könne auch auf dem Gang mündlich oder am Telefon und per Mail angehört werden – widersinnig.

So viel common sense lässt die Befürworter (Hessen….ts, ts, ts) der Ablehnungsthese wie, nun ja, Spießer (?) aussehen.

Was haben jetzt die Griechen damit zu tun?

Ganz einfach. Ohne sie – insbesondere den eingesetzten Sonderliquidator und seinen Anwalt – hätten wir diese Erkenntnis nie gewonnen.