Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
02.08.2012

Die abendländische Bildung

Aus einem Urteil des Arbeitsgerichts Berlin (vom 18.05.2012 – 28 Ca 3881/12), das leider unveröffentlicht ist:

„…[in diesem Zusammenhang erinnert die Kammer an] den eindrucksvollen Stoßseufzer des 460 vor Christus geborenen Thukydides in seiner „Geschichte des Peloponnesischen Krieges“, Bd. 1, S. 22 (hier zitiert nach Wolfgang Linsenmeier ArbuR 2000, 336 [5.] unter Berufung auf Peter Häberle, Wahrheitsprobleme im Verfassungsstaat [1995], S. 39): „Es kostet Mühe, die Wahrheit herauszufinden, weil die Augenzeugen in ihren Berichten über dieselben Tatsachen nicht übereinstimmen, sondern so sprechen wie ein jeder dieser oder jener seiner Partei günstig gesonnen oder seiner Erinnerung mächtig war“; s. markant auch Peter Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach u.a., ZPO, 61. Auflage (2003), Rn. 6 vor § 373, der den Ausschluss des Zeugenbeweises oberhalb gewisser Streitwertgrenzen (u.a.) in Frankreich „ein Denkmal der Menschenkunde“ nennt (das Prädikat taucht bereits in den noch von Adolf Baumbach betreuten Auflagen auf: in der 10. Auflage [1935] als „überlegene Gesetzeskunst“, seitdem wie hier zitiert; s. zum Prozessrecht in Spanien und Griechenland auch den Hinweis bei Guido Kirchhoff MDR 1999, 1473, 1474 Fn. 6; s. des weiteren schon Adolf Wach, JW 1918, 797: „Vor allem sollte der Zeugenbeweis, dieser nach Kenntnis jedes Erfahrenen schlechteste Beweis, nach Kräften ausgeschaltet werden“.

Das bedeutet, dass der Zeugenbeweis unzuverlässig ist.

Man wusste es schon 1915 in der Juristischen Wochenschrift. Adolf Baumbach wusste es 1935 immer noch. Und ich kann aus der Passage – im Original wohl, nach meiner Kenntnis der richterlichen Gepflogenheiten der 28. Kammer, eine Fußnote – mehr Erkenntnis über Zivilprozessrecht entnehmen, als einem ganzen Semester an der Universität.

Ob man das in einem Urteil so aufwendig begründen muss oder einfach sagt, der Zeuge mache einen nicht ganz koscheren Eindruck, ist reine Geschmackssache.