Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
24.04.2012

Die Woche der Diskriminierungen

Die haben wir eigentlich schon hinter uns. Aber gleich zweimal hat es gekracht im Diskriminierungsrecht in den letzten Tagen.

Der erste Kracher war ein kaum vernehmbares Ächzen im Gebälk. Ausgelöst hat ihn Frau Galina Meister, die in der Rechtssache Meister/Speech Design, Rs. C‑415/10 beim EuGH etwas errungen hat, das sich nicht genau fassen lässt. Es ist jedenfalls ein Urteil, ob es aber ein Etappensieg ist oder das Gegenteil, weiß man nicht.

Frau Meister ist das Paradebeispiel für eine diskriminierungsrechtliche Betrachtung:

Sie bewirbt sich mit erstklassigen Qualifikationen bei einem Softwareunternehmen als Programmiererin. Sie ist über 50, spricht Deutsch mit Akzent und ist auch Russlanddeutsche, weiter ist sie eine Frau. Prompt kommt die Absage – mit genau dem Absageschreiben, zu dem seit AGG-Zeiten jeder Anwalt rät: Eines ohne jede Begründung. Bloß nichts falsch machen. Auch auf Nachfrage wollte man ihr zu den Gründen nichts sagen.

Beim Bundesarbeitsgericht (Beschluss vom 20.5.2010, 8 AZR 287/08 (A)) hatte man die Sache dem EuGH vorgelegt – weil man keinen Auskunftsanspruch erkennen konnte. Müsste man auf Nachfrage von Frau Meister das Bewerbungsverfahren offenlegen, könnte ein Arbeitgeber ja verpflichtet werden, sich selbst an Messer zu liefern. Es hätte aber sein können, dass die Richtlinien einen solchen Auskunftsanspruch erfordern.

Die Antwort des EuGH?

Bravourös. Mal sehen, was Sie damit anfangen können (hihihi):

…In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass nach…der Richtlinie 2006/54 nationale Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten…vorsehen können, dass eine mittelbare Diskriminierung mit allen Mitteln, einschließlich statistischer Beweise, festzustellen ist. Zu den Gesichtspunkten, die in Betracht gezogen werden können, gehört insbesondere der Umstand, dass…der Arbeitgeber, um den es im Ausgangsverfahren geht, Frau Meister jeden Zugang zu den Informationen verweigert zu haben scheint, deren Übermittlung sie begehrt…

Alles klar. Das ist so: Sie fragen mich, ob die Klägerin einen Auskunftsanspruch hat; ich antworte, Sie müssen schon sehen, dass die gar keine Auskunft erhalten hat. Ts, ts,ts.

Die Dialogfähigkeit zwischen Bundesarbeitsgericht und EuGH war noch nie sehr ausgeprägt.

Aber das Ganze heißt wohl, man solle negativ berücksichtigen, dass gar keine Auskunft erteilt wurde. Ok, aber wie? Wenn die mangelnde Auskunft kein Indiz nach § 22 AGG ist, dann kann man nix mehr negativ werten: Dann ist die Klage abzuweisen. Ist sie eines, gibt es keine Verteidigung für den Arbeitgeber mehr. Oh, je. Das BAG hat in seinem Vorlagebeschluss implizit deutlich gemacht, dass die bloße Auskunftsverweigerung ihm als Indiz nicht reicht. Also: Mal sehen. Gelohnt hat dieser Gang nach Luxemburg (mit zwei Jahren Verfahrensdauer) nicht.

Wenn jetzt in der Frankfurter Allgemeinen aber schon ein Kollege verkündete, die Arbeitgeber seien jetzt arm drann, denn

Sie müssten nun entscheiden, ob sie vorsichtshalber die Personalien eines Mitbewerbers vorlegen und damit sogar einen Verstoß gegen den Datenschutz riskieren wollten…

Dann ist das übertrieben. Auch “hinterlistig” ist allenfalls Populismus in der Zeitung. An keiner Stelle des Verfahrens wurde davon gesprochen, dass die Unterlagen anderer Bewerber zur Verfügung gestellt werden müssten. Der Satz:

Der erfolgreiche Bewerber hatte leider die bessere Qualifikation

tut es einstweilen auch.

Das Abendland dürfte noch stehen.

Auch beim BGH übrigens, der am Montag den von Liz Collet sehnlich herbeigewünschten (wegen des Kölnischen Einschlags…) Geschäftsführerdiskriminierungsfall hatte (Urteil des II. Zivilsenats vom 23.4.2012 – II ZR 163/10). Der Fall ist übrigens nicht so einfach, wie ich ihn gerne darstelle.

Betroffen war ein sog. Fremdgeschäftsführer einer GmbH, der weder Arbeitnehmer noch echter Selbständiger ist. § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG nimmt zwar auch solche Leute unter seine Fittiche. Aber die lukrative Entschädigungsregel des § 15 AGG gilt eben nur für „Beschäftigte“; ob das auch Geschäftsführer sind, ist nach § 6 AGG nicht völlig klar. Die Formulierung ist an das Arbeitsgerichtsgesetz angelehnt, das Geschäftsführer jedenfalls nicht als „arbeitnehmerähnlich“ ansieht. Wie weit die partielle Regelung in Abs. 3 der Vorschrift geht, die allgemein als europarechtswidrig angesehen wird, ist natürlich auch hochumstritten.

Nach der BGH-Entscheidung ist klar: Fremdgeschäftsführer fallen unter die Vorschrift, wenn es um die Verlängerung ihres Arbeitsvertrags geht. Das ist eine echte Klarstellung. Lustiger ist, wie der Geschäftsführer von seiner Diskriminierung – sein Vertrag wurde nicht verlängert – erfahren hat. Na? Ok – auch wenn es an anderer Stelle schon viel, viel ausführlicher dargestellt wurde – hier soll die Pressestelle des BGH selbst zu Wort kommen:

…Hier hatte der Aufsichtsratsvorsitzende gegenüber der Presse erklärt, dass der Kläger wegen seines Alters nicht weiterbeschäftigt worden sei. Man habe wegen des “Umbruchs auf dem Gesundheitsmarkt” einen Bewerber gewählt, der das Unternehmen “langfristig in den Wind stellen” könne…

Si tacuisses. Aber so sind Unternehmen eben: Die einen verweigern jede Kommunikation. Die anderen lassen die Diskriminierungsgründe von der Pressestelle verkünden, oder auch direkt über den Aufsichtsrat. Darin liegt auch eine Art Ungleichbehandlung. Fragt sich nur, wer weniger vom AGG versteht, der Aufsichtsrat oder die erste Instanz, das LG Köln; die hatten mit der einigermaßen absonderlichen Argumentation die Klage abgewiesen, weil man Geschäftsführer grundlos aus der Organstellung abberufen können, müsse auch ihre Kündigung oder Nichtverlängerung vom AGG ausgenommen sein. Mit der Auffassung hätte man die Fusion von Gesellschafts- und Dienstvertragsrecht endgültig vollbracht; dafür wäre die halbe deutsche Geschäftsführerliteratur Makulatur. Gott sei Dank kam es anders.

Fragt sich nur, warum das aus Sicht des BGH nur ein „Indiz“ im Sinne von § 22 AGG ist. Kann man mehr an Vollbeweis erbringen?

Ich gehe mich jetzt erst einmal bewerben. In dem Friseurladen um die Ecke, wo seit Wochen das Schild „Friseurin gesucht“ hängt. Vielleicht gehe ich auch rein und reiße es ab, um der InhaberIn einen Gefallen zu tun.

Mal sehen.