Es ist ja unvermeidlich. Alle reden von Schlecker und wer auch immer das Thema jetzt anschneidet, redet auch von der FDP. Vor allem schlecht über sie. Kaltherzig, kalte Schulter, Populismus (den kann sie aber auch nicht mehr konsequent, schreibt jedenfalls der “Stern”, nicht gerade ein FDP-Hausblatt; aber im Ton sicher zynischer als seine gelbe Zielscheibe).
Die FDP-Wirtschaftsminister der Länder haben sich gegen eine Bürgschaft ausgesprochen, mit der eine sog. Transfergesellschaft auf die Beine gestellt werden sollte. Das führt nun zu den empörten Reaktionen in der Politik.
Mit Politik haben wir hier erst einmal nichts zu tun. Man liest sehr wenig über das Kernthema: Was ist eigentlich eine „Transfergesellschaft“? Die FDP hat sie verhindert, die FDP ist böse, aber worum geht es dabei?
Transfergesellschaften sind ein Ratatouille: Es ist von allem etwas drin, aber überwiegend vegetarisch.
Die Idee ist erst einmal eine, die dem Unternehmen nützt. Wenn man umstrukturieren muss, gibt es eine Menge arbeitsrechtlicher Unwägbarkeiten. Das Geld ist knapp. Da kommen lange Kündigungsfristen schon fast wie ein Todesurteil daher. Kündige ich heute, stellt sich ein Einspareffekt erst in Monaten ein. Bei langlaufenden Arbeitsverhältnissen können das schon nach der gesetzlichen Regelung schnell mal drei, vier Monate oder ein halbes Jahr sein, Tarif- oder Arbeitsverträge sehen teilweise noch längere Fristen vor. In einer Insolvenz unfinanzierbar. Die durch das Insolvenzgeld geschaffene Brücke ist zu kurz. Hinzu kommt: Kündigungsschutzprozesse dauern und sind ein Roulettespiel.
Also hat man ein Förderinstrument geschaffen, das als „Transferkurzarbeitergeld“ nach § 216b SGB III. Das kann man in etwa so nutzen:
Die vom Abbau betroffenen Mitarbeiter unterschreiben einen sofort wirksamen Aufhebungsvertrag mit dem Unternehmen. Das wird alle Arbeitskräfte, die vom Abbau betroffen sind, damit von heute auf morgen los – runter von der Payroll. Die Liquidität des Unternehmens verbessert sich schlagartig, auch die Risiken des Kündigungsschutzprozesses sind irrelevant: Es herrscht Rechts- und damit Planungssicherheit. Die Mitarbeiter – die bekommen eine einjährige Beschäftigung in einer selbständigen Transfergesellschaft. Da sollen sie vermittelt und qualifiziert werden. In dieser Zeit – die meist länger ist als ihre Kündigungsfrist gewesen wäre – erhalten sie das Transferkurzarbeitergeld. Es liegt etwa auf Augenhöhe mit der Arbeitslosengeld I. Außerdem muss das Unternehmen für seine plötzliche Entlastung natürlich einen Preis zahlen, der freilich die Einsparungen relativiert. Er bestet in einer Aufstockung des Kurzarbeitergelds. Die Arbeitnehmer stehen damit fast so, wie vor dem Aufhebungsvertrag. Für maximal ein Jahr. Danach – wenn es keinen neuen Job gibt – kann man in voller Länge und Höhe Arbeitslosengeld beziehen. In den 90ern – im wilden Osten – hat man das vor allem als Leidensverlängerung gesehen.
Abgelehnt hat die FDP eine staatliche Bürgschaft für vor allem diese Finanzierung. Derer hätte es nicht bedurft, wenn Schlecker genug Eigenmittel hätte – Schlecker ist aber insolvent und außerordentlich knapp bei Kasse. Der Zuschuss hätte kreditfinanziert werden müssen und dafür mußte eine Sicherheit her – die Bürgschaft eben.
Transfergesellschaften waren in den bereits benannten wilden 90ern ein Riesengeschäft. Für Rechtsanwälte und andere Berater. Ihre Bilanz war gemischt. Weil der Arbeitsmarkt nichts hergab, lief das Instrument meist einfach auf eine Verlängerung von Sozialleistungen „nach hinten“, in die Frühverrentung etwa, hinaus. Dass auch schon mal Ingenieure beim Zerkloppen von Kloschüsseln beobachtet wurden, um sie zu „qualifizieren“, war der verzweifelten Situation damals ebenso geschuldet wie der Fantasielosigkeit der Macher.
Was das Ganze bei Schlecker gebracht hätte, ist folglich kaum einzuschätzen. Es ist aber nicht gerade unseriös, darin keinen Sinn in Ballungszentren zu sehen, bei denen genug Einzelhandelsarbeitsplätze frei sind (in Berlin etwa). Aber auch in den vielbeschworenen ländlichen Gebieten, wo Schlecker stark vertreten ist und deshalb auch stark abbaut, kann man sich den Zweck der Transfergesellschaft nur schwer vorstellen; das Vermittlungsproblem besteht meist darin, dass es Ersatzarbeitsplätze kaum gibt, aber die Beschäftigten auf dem Land selten über die Mobilität, die man braucht, um eben mal aus Angermünde nach Berlin zu ziehen, um da saftige 800 EUR in Teilzeit zu bekommen. Das lässt sich über eine Transfergesellschaft – ehrlich gesagt – nicht lösen.
Im Aufbau Ost hat das Konstrukt eine nicht unerhebliche Rolle gespielt. Das ist aber kaum ein Argument, warum es den betroffenen Schlecker-Mitarbeitern helfen sollte. Tatsächlich bekommt man das Gefühl, es sei eher die Frage „Bürgschaft für Schlecker-Mitarbeiter“ zur populistischen Liedkultur gemacht worden, als dass die Ablehnung der Transfergesellschaft (bzw. der Beteiligung an ihrer Finanzierung) populistisch ist. Die Bewertung fällt damit, wie bei allen wirtschaftspolitischen Entscheidungen zwiespältig aus: Man kann nicht testen, was gewesen wäre, wenn…nach dem oben Gesagten jedenfalls erfährt Schlecker erst einmal keine Entlastung. Es werden Kündigungen verschickt und es wird auch sicher Kündigungsschutzverfahren geben (deren Schwierigkeiten beschreibt Philip Stühler-Walter hier). Wenigstens bleibt das ein unternehmensinternes Problem, kein staatliches – auch diesen Standpunkt darf man einnehmen.
Es mag sein, dass die Motive etwa bei Herrn Rösler (unnachahmlich hölzern wird er mit der „Anschlussverwendung“ in die Geschichte eingehen) auch wahlkämpferisch waren.
Das bedeutet ersichtlich nicht immer, dass sie völlig unvernünftig sind.