Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
06.07.2012

Die Eurokrise aus der Mikroperspektive

Wirklich absolut jeder redet und schreibt ja jetzt über die Eurokrise. In diese Kakophonie (nebenbei: Darf man griechischstämmige Ausdrücke noch verwenden oder muss man dann an den Sparkommissar 5,- EUR zahlen?) können wir hier natürlich nicht einstimmen. Da gäbe es viel, am auffälligsten war zuletzt ein Provinzpolitiker namens (phonetisch) Seehopfer, der offenbar im Stundentakt bereit ist, die Regierung und/oder Europa über Bord zu werfen, wenn nicht irgendwelche Bedingungen erfüllt werden.

Nein, wir haben es vom italienischen Arbeitsrecht.

Italien soll sparen, sparen, sparen. Zu dem, was international verlangt wird, gehören auch Arbeitsrechtsreformen. Das ist immer so. Wenn Politiker im eigenen Land gewählt werden wollen, müssen sie davon die Finger lassen. Auf andere zu zeigen, ist aber geradezu Amtspflicht. Mario Monti hat auch das italienische Arbeitsrecht angepackt. Aber was bringt es? Ganz erstaunliche Randnotizen. Man möchte anfangen, mal gründlich zu grübeln.

Es – die Grübelattacke – begann für mich mit dem Interview eines Hamburger Kollegen, Mario Prudentino, in einem Onlineportal. Kollege Prudentino kennt sich mit italienischem Arbeitsrecht aus. Er ist deshalb gefragt worden, was er von den Monti-Reformen im Arbeitsrecht halte. Er kommt zu einem sehr zurückhaltenden Urteil. Einige Aspekte seiner Begründung lassen eben grübeln.

Die These der Reformer ist allgemein in der Eurokrise doppelgesichtig, was das Arbeitsrecht anbelangt; Arbeitsrecht soll per Definition sklerotisch und wachstumshemmend sein, zweitens soll es den verschuldeten Staat weiter belasten. Dass die Verquickung falsch sein muss, ist klar: Arbeitsrecht belastet Arbeitgeber mit Schutzmechanismen. Der Staat wird nur im Sozialrecht belastet, wenn er etwa die Folgen von Kündigungen abfedert. Aber eine gewisse Richtigkeit will man beiden Thesen in der Grundtendenz unterstellen.

Aber?

Aber: Herr Prudentino erklärt erst einmal, dass Italiener den „stärksten monetären Kündigungsschutz in Europa“ haben. Bei einer unberechtigten Kündigung gibt es nicht nur den Verzugslohn (bei uns auch), und die rechtliche Vernichtung der Kündigung (bei uns auch), sondern einen Schadensersatz von mindestens 5 Monatsgehältern obendrauf (bei uns unbekannt) , der sich drastisch erhöht, wenn der Arbeitnehmer sich am Ende eines jahrelangen Prozesses doch gegen eine Weiterbeschäftigung entscheidet. So können mehrere Jahresgehälter zusammenkommen.

Klingt widerlich und reformbedürftig, aber Kollege Prudentino sagt auch trocken, dass das Gründe hat: In Italien fehlt es an einer umlagefinanzierten Arbeitslosenunterstützung. Man hat schlicht über den Kündigungsschutz die finanziellen Folgen der Arbeitslosigkeit privatisiert. Auf die Arbeitgeber abgeladen.

Daraus folgen diese Erkenntnisse:

Diese Regelungen könnte man für ein besseres Investitionsklima in Italien über Bord werfen. Wenn man eine Arbeitslosenversicherung einführt. Weil das in der Verantwortung des Staates liegt, will da sicher keiner drüber nachdenken.

Das italienische Arbeitsrecht ist nicht für Dumme und Faule in Italien gedacht, wie offenbar Resteuropa oder Bayern annimmt, sondern Folge eines staatlichen Rückzugs, ja, einer Art Liberalisierung, denn Beiträge zu irgendwelchen Versicherungen verteuern in diesem Punkt die Arbeitskraft ja nicht. Der Reformvorschlag müsste also lauten: Die Regeln abschaffen, aber eine Versicherungslösung gründen, wie die Bundesagentur für Arbeit. Wer hätte das gedacht? Am Ende sind Sozialversicherungen eine prima Idee.

Es geht aber noch weiter.

Auch nach der Reform wird es hohe Zahlungen geben. Auch ist ein weiterer Schlichter als „4. Instanz“ (Prudentino) in das sonst dreistufige Arbeitgerichtsverfahren eingeführt worden. Weil aber auch bei der Abfindung, die ein Arbeitnehmer alleine erzwingen kann, die während des Verfahrens fiktiv angefallenen Verzugslöhne aufgeschlagen werden müssen, hängen die Kosten für den Arbeitgeber – von der Verfahrensdauer ab.

Da ist man auch schon mit drei Stufen in Italien eines der Schlusslichter in Europa ;ich erinnere mich, wie der seit mittlerweile drei Jahren in Deutschland arbeitende Geschäftsträger eines Mandanten eben mal nach Neapel zurückfliegen musste – mit EasyJet damals (mangels anderer Alternativen). Dort war er zuletzt einige Jahre stationiert gewesen. Er musste als Zeuge in einem Arbeitsgerichtsprozess eines Ex-Mitarbeiters aussagen, der am Anfang der neapolitanischen Karriere des Geschäftsträgers gekündigt worden war. Nun, der Termin war der erste – in der ersten Instanz. Londoner Kollegen haben früher immer versucht, ihren Mandanten unangenehme Streitigkeiten in internationalen Geschäften nach Griechenland oder Italien abzuschieben, wenn sich da nur irgendwie die erste Rechtshängigkeit begründen ließ. Dann durfte man sich erst einmal zurücklehnen.

Aber:

Die Schnelligkeit der Justiz ist nun einmal eine Frage der Ausstattung – Gebäude, Technik, Personal und – natürlich – Richter. Alle müssen gut bezahlt werden (und auch pünktlich, ein besonderes Problem italienischer Staatsbediensteter, die allzu oft keine Überweisung bekommen); sie wollen sonst nämlich lieber woanders arbeiten.

Erkenntnis: Die Einrichtung funktionierender Gerichte ist teuer, für den Staat. Sie ist aber eine effektive Reform, nicht nur am Arbeitsmarkt, sondern auch für die Wirtschaft insgesamt.

So kommt man zu einer sehr erstaunlichen Betrachtung: Italien wäre mehr geholfen, wenn in die Gerichtsbarkeit und die Sozialverwaltung investiert würde, auch wenn das weniger martialisch klingt als das „Aufbrechen“ von „sklerotischen“ Arbeitsrechtsstrukturen. Das Arbeitsrecht darf man natürlich dennoch reformieren, gerne auch drastisch. Akzeptanz wird das aber nur geben, wenn die administrativen Reformen auch kommen. Dumm nur: Das kostet Geld. Politiker müssen aber jetzt nicht Ausgaben, sondern Sparanstrengungen diskutieren. Leider.