Es geht nicht um die Eurokrise, sondern um Betriebsräte. Hinter einer sehr reißerischen, mindestens aber unglücklichen Schlagzeile in der Pressemitteilung des LAG Köln:
„Kann ein deutsches Gericht verbieten, einen Betrieb in Spanien stillzulegen?“
steckt in Wahrheit ein ganz anderes, interessantes Rechtsproblem und ein (europäischer) Betriebsrat. Es geht in dem Beschluss des LAG Köln vom 8.9.2011 – 13 Ta 267/11 um einen betriebsverfassungsrechtlichen Klassiker in neuem Gewand:
Den Unterlassungsanspruch der Betriebsräte gegen Maßnahmen des Arbeitgebers.
Dieses Schwert ist scharf und entsprechend umstritten: Hat ein Betriebsrat einen Unterlassungsanspruch, kann er diesen in einstweiligen Verfügungsverfahren geltend machen und ultimativ auf diesem Weg erhebliche Maßnahmen blockieren, von Dienstplänen in Großunternehmen bis zu Werksschließungen. Um letztere ging es hier: Der Konzern, bei dem ein europäischer Betriebsrat gebildet worden war, wollte in Werk in Spanien schließen. Der europäische Betriebsrat fühlte sich dazu nicht ausreichend unterrichtet und wollte, dass das einstweilen unterbleibt. Er scheiterte.
Die Begründung ist natürlich interessant – hier stritt kein deutscher Betriebsrat (der nach dem BetrVG errichtet wird), sondern ein europäischer Betriebsrat nach dem „Gesetz über Europäische Betriebsräte“, das immer noch ein Katzentischdasein fristet (aber es liegt jetzt voll im Trend, denn es hört auf die verwechslungsträchtige Abkürzung „EBRG“, wie „EFSF“ und der Trend geht ja im Marketing – auch von Anwaltskanzleien – nachhaltig von Drei-Buchstaben-Kürzeln („CMS“, „CBH“ etc.) zu solchen mit vieren…
In der deutschen Betriebsverfassung streitet man wegen der Schärfe eines solchen Unterlassungsanspruchs bis heute darüber, ob es ihn gibt oder geben darf. Es gibt ein ganzes Sammelsurium von Unterlassungsansprüchen. Im Gesetz steht indes nur ein einziger, derjenige in § 23 Abs. 3 BetrVG – gebunden an sehr, sehr enge Voraussetzungen – wie der Gesetzestext belegt – und deshalb meist nicht gegeben ist.
Daraus hat das Bundesarbeitsgericht seit Einführung des BetrVG geschlossen, dass der Gesetzgeber nur diesen einen, speziellen Unterlassungsanspruch habe regeln wollen, andere Unterlassungsansprüche aber bewusst nicht einführen wollte.
Bis zum Jahr 1994. Da fiel das BAG in einem bahnbrechenden Beschluss sozusagen um (Beschluss vom 03.05.1994 – 1 ABR 24/93). Die Idee des damals erfundenen „Allgemeinen Unterlassungsanspruchs“ ist die effektive Verteidigung von Mitbestimmungsrechten. Was, so das BAG, nützt ein Mitbestimmungsrecht z.B. zur Urlaubsplanung, wenn der Arbeitgeber die Werksferien einfach gegen den Willen des Betriebsrats anordnet? So gibt es jetzt also seither Unterlassungsanspruche – mit allen Folgeproblemen, zu denen die Vollstreckung (eventuell bis hin zur Ordnungshaft der Leitungsorgane, theoretisch) gehört, aber vor allem auch die mangelnde Haftung des vermögenslosen Betriebsrats, die in der ZPO das Korrektiv gegen die Versuchung „schnell mal mit einer Einstweiligen dazwischengegangen“ bildet. Außerdem hat man einen bis heute höchstrichterlich ungeklärten Anspruch auf Unterlassung von Betriebsänderungen, zu denen vorher nicht über einen Interessenausgleich nach § 111 BetrVG verhandelt wurde, mal bejaht, mal verneint – je nach LAG. Und schließlich hat man bei der Verletzung von Konsultationsrechten einen solchen Unterlassungsanspruch erwogen, bislang aber verworfen.
Informations- und Konsultationsrechte sind aber eben alles, was das EBRG enthält – Mitbestimmung gibt es da nicht. Die Idee, die Konsultation durch einen Unterlassungsanspruch abzusichern, weil der Betriebsrat sonst als zahnloser Tiger dasteht, ist damit erst einmal gescheitert. Ob das EBRG so aus dem schon erwähnten Dornröschenschlaf erwacht (im Erfurter Kommentar ist es nicht einmal kommentiert, wenigstens im aus sonst empfehlenswerten HWK gibt es ein paar Hinweise), ist zu bezweifeln. Aber wie die Spechte werden die Betriebsräte es weiter versuchen – der Gedanke ist doch naheliegend, einen Unterlassungsanspruch hineinzulesen, oder etwa nicht?
Und diese Macht, die daraus erwächst: Das in der Pressemitteilung suggerierte Problem ist schließlich keins, denn natürlich kann man einen deutschen Unterlassungstitel auch in Spanien vollstrecken (fragen Sie mal im Wettbewerbsrecht nach). Die Machtversuchung wird das Thema nicht ruhen lassen.
Witzig nur: Der Arbeitgeber dürfte jetzt allenfalls aus der Fachpresse von diesem Versuch seines Betriebsrats erfahren. Das Verfahren war in erster Instanz nämlich ohne mündliche Verhandlung vom ArbG zurückgewiesen und mit sofortiger Beschwerde zum LAG angefochten worden. Der ablehnende Beschluss wird dem Gegner nicht zugestellt (§ 922 ZPO)…