Grad keine Lust auf Fußball? Zu wenig Aggressivität auf dem Platz in der EM? Kein Problem.
Aggression und Zoff – das kann ja nicht jeder. Nur Anwälte (siehe auch hier. Oder hier, wenn‘s um Krankheiten geht. Oder und die Bezahlung von Überstunden. Oder das Alter der Freundin des Anwalts. Oder zu Schadensersatz gegenüber dem Azubi) und ihre Mitarbeiter/-innen verstehen richtig was davon.
Wer in diesem Vorwissen den Fall des LAG Köln (Urteil vom 20.1.2012 – 3 Sa 408/11) erst einmal für sich entdeckt hat, will ihn gar nicht mehr aus der Hand legen. Die Schlagzeile, unter der ihn auch die juristische Presse (etwa Becks Fachdienst Arbeitsrecht) verkauft, lautet zwar sinngemäß
Ein Arbeitsvertrag kann nicht wegen des Aufladens eines elektrischen Rasierapparats am Arbeitsplatz gekündigt werden
Aber da kann einem ja langweilig werden, denn hatten wir das nicht alles vor zwei Jahren oder so, Emmely, Maultaschen, ja – und auch Stromklau? Lernen manche nie dazu, ist die Bagatellkündigung immer noch allgegenwärtig oder was?
Gemach: Das hier ist ein Lehrstück über Hybris und die Tiefen des Arbeitsrechts und Arbeitsgerichtsverfahrens.
Die Sache (lassen Sie es genüsslich angehen):
Der Kläger hatte insgesamt drei Kündigungen bekommen. Ach ja: Er ist Rechtsanwaltsfachangestellter (diesen Beruf dürfen auch Männer ausüben, was nicht jeder weiß; anekdotenhaft weiß man aber, dass sie es auf der Berufsschule nicht immer leicht haben). Sein Arbeitgeber – natürlich ein Kollege Rechtsanwalt (was ist im Rheinland bloß los gerade? Nebenan in Bonn sind sie auch so streitfreudig… ). Noch nicht spannend genug? Ok!
Der Kollege kennt sich aus: Vor der Kündigung abmahnen. Also hat er das gemacht (aus dem Tatbestand des LAG):
Zur Begründung der außerordentlichen, hilfsweise fristgerechten Kündigungen trägt der Beklagte vor, der Kläger sei wegen des Aufladens eines I-PODs am persönlichen Rechner des Beklagten mündlich im Dezember 2009 abgemahnt worden.
Das steht da wirklich.
Das heißt: Das hat er wirklich so gesagt. Vor einem Landesarbeitsgericht.
Muss ein spaßiger Tag gewesen sei, das Ansehen der Anwaltschaft wurde eventuell nicht – äh – gemehrt. Gemeint ist wohl tatsächlich: i-Pod über USB an Dienstrechner – das zischt richtig Strom! Da braucht man ein eigenes AKW…oder? So schlimme Pflichtverletzungen kommen auch in unserer Praxis…selten vor. Mir ist noch ganz schlecht ob dieser Missetaten. Aber schwindlig wird es einem bei dem, was folgt.
Grund für die Kündigung sei, dass der Kläger am 15.04.2010 heimlich seinen Elektrorasierer im Büro aufgeladen und sich damit am Strom der Kanzlei bereichert habe.
Das Arbeitnehmerschwein.
Strom ist wertvoll, vor allem, wenn man all sein Geld schon für das Personal ausgibt. Das LAG Köln:
Sein [des Klägers, Anm. Des Autors] monatlicher Bruttoverdienst betrug 1.150 € zuzüglich einer pauschalen Fahrtkostenerstattung in Höhe von 74,10 € monatlich.
Der Kläger ist auch sonst böse, was der Beklagte ihm scharf vortrug:
Am 16.12.2009 sei der Kläger wegen psychischer Probleme vormittags nicht zur Arbeit erschienen, ohne eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen. Hierfür habe er ihm einen halben Tag Urlaub gestrichen. Im März 2010 habe er den Kläger nochmals eindringlichst und mit der gebotenen Schärfe mündlich zurechtgewiesen, weil dieser nach der Mittagspause während der Arbeitszeit unter dem Vorwand, Milch für den Bürokaffee zu kaufen, persönliche Einkäufe bei dem benachbarten Supermarkt erledigt habe.
Hervorhebung von uns. Urlaub streichen, das, nun ja…das geht rechtlich gar nicht.
Kündigen übrigens will gelernt sein. Von den drei Kündigungen ereilte eine ein betrübliches Schicksal:
Dieses Kündigungsschreiben hat der Beklagte dem Kläger per Einschreiben/Rückschein übersandt. Der Kläger hat den eingeschriebenen Brief nicht abgeholt.
Seufz. Einschreiben – noch dazu mit Rückschein – sind die schlechteste Variante zur Zustellung. Da kann man genauso gut gar nicht kündigen. Das Benachrichtigungskärtchen im Briefkasten ist schließlich kein Kündigungsschreiben…
Mit den anderen Kündigungen hat es dann formell geklappt, aber angesichts der – sagen wir mal – schwierigen materiellen Rechtslage schlossen die Parteien dann einen Vergleich, wenn auch erst in der Berufung vor dem Landesarbeitsgericht. Der sah einen Fortbestand des Arbeitsverhältnisses noch für einige Monate vor, bei Entgeltfortzahlung bis dorthin. Da der Zeitpunkt in der Vergangenheit lag, brauchte man keine Freistellung mehr zu regeln. Auf die Frage, ob er in der Zeit bis zum Ende gearbeitet habe, gab der Kläger einen Job an, dessen Verdienst er ebenso angab. Das ist für die Zahlungsverpflichtung des Beklagten wichtig, da der Zwischenverdienst angerechnet wird. Es spart dem Beklagten also Geld.
Jetzt denken Sie sicher schlecht von mir; ich wolle neuerdings nur auf Kollegen eindreschen und hätte außerdem meine Arbeitgeberneigung vergessen. Nein, nein, nein! Denn:
- Die allenfalls zwei Kollegen, die das abbekommen haben, sind namentlich nicht genannt, ich kenne sie auch nicht, und ihre originellen Fälle haben sie sich selbst zu verdanken.
- Wir sind ja noch nicht fertig.
Tja.
Denn der ReNo hat sich nicht lumpen lassen. Den Zwischenverdienst hat er falsch angegeben. Und – jetzt kommt noch mehr Schelte für Kollegen – sein Anwalt hat es offenbar mitgemacht. Auf die verschärfte Tour. Das Landesarbeitsgericht fühlt sich angepisst angelogen, wie man es selten so drastisch lesen kann:
Erst nachdem der Vorsitzende den Kläger konkret zu seinem im Zeitraum vom 19.07. bis 30.09.2010 erzielten Zwischenverdienst befragt und diesen ermahnt hatte, dass eine falsche Angabe einen Prozessbetrug bedeuten würde, und nachdem die Erklärungen des Klägers wörtlich protokolliert worden waren, hat der Beklagte dem Vergleich in der protokollierten Fassung zugestimmt.
Trotz dieser unzweideutigen Belehrung hat er einfach – gelogen. Das flog auf. Dass das Landesarbeitsgericht sich noch folgenden Absatz abgerungen hat, ist fast gruselig für die Prozessparteien:
Eine irrtümliche Falschangabe ist ausgeschlossen. Insbesondere gehen die Erklärungsversuche der Prozessbevollmächtigten des Klägers ins Leere, der Kläger habe sich hinsichtlich der Angabe des Brutto- und Nettobetrags geirrt.
Puh.
Aber jetzt hängt da auch noch Prozessrecht dran:
Der Vergleich hat das Verfahren beendet. Seine letzte Ziffer lautet:
Damit ist der Rechtsstreit 3 Sa 1277/10 erledigt
Wie kommt es dann zu diesem Urteil?
Ganz einfach: Man kann einen Vergleich auch anfechten, weil man getäuscht wurde (§ 123 BGB). Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (dieses Backup braucht man eigentlich gar nicht), fällt damit auch die sog. prozessbeendigende Wirkung des Vergleichs weg. Man spricht auch gerne von der „Doppelnatur“ – der Vergleich regelt die Rechtsbeziehung einer- und das Prozessrechtsverhältnis andererseits gleichzeitig. Deshalb kann man nach erfolgreicher Anfechtung – unabhängig vom Zeitablauf – die Fortsetzung des Verfahrens beantragen. Das ist hier geschehen. Das Verfahren bekam nur ein neues Aktenzeichen.
Nur hatte kaum einer viel davon. Verzugslöhne bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist müssen ohnehin gezahlt werden, nur sind sie nicht so hoch. Die Fristlosen sind geplatzt, weil es um Lappalien geht. Die Prozesskosten sind immens, zufrieden dürfte keiner sein. Aber als Klausrfall – super geeignet. Genauso als Lacher zum Wochenende.
Oder auch nach einer Klausur. Ich habe jetzt die erste Wettbewerbsrechtsklausur im FA-Lehrgang hinter mir. Aber das ist eine andere Geschichte…