Der Bundesgerichtshof hat’s dann wohl gerichtet. Ja : der BGH. BGH. Nicht: BAG. Sehen und staunen Sie:
BGH, Urteil vom 25. Oktober 2012 – III ZR 266/11
Worum geht es? Fangen wir mit dem Betriebsratsvorsitzenden an!
Der Betriebsratsvorsitzende. Der Betriebsrat. Ach, wie gerne würde man den haften lassen! Eieiei! Mancher Arbeitgeber träumt davon: Überzogen mit (aus seiner Sicht) unsinnigen Beschlussverfahren, gequält von der Bereicherung feindlich gesinnter Anwälte, deren Beratung für den Betriebsrat ein Arbeitgeber bezahlen muss, nur, damit er dann für sein Geld von selbigem beleidigt, vorgeführt und nochmals zur Kasse gebeten wird.
Ja, das tut alles weh. Schmerzt sehr! Und falls Sie das aus irgendeinem Grund nicht wissen sollten, weil Sie sich auf dieses Blog zufällig verlaufen haben: Ja, der Arbeitgeber bezahlt die Rechtsanwälte und Berater des Betriebsrats – auch wenn der den Arbeitgeber verklagt. Sogar dann, wenn er es erfolglos macht.
Oh Schande!
Der Betriebsrat darf nach § 40 BetrVG seine angemessenen Beraterkosten gegen den Arbeitgeber geltend machen. Betriebsräte als Gremien sind nicht rechtsfähig. Sie können keine Verträge schließen und nicht haften. Im Grunde. Dass sie – um ihre Arbeit zu machen – eigentlich genau das können müssen, ist ein Dilemma, dessen dogmatische Auflösung bis heute misslingt.
Was aber, wenn der Betriebsrat, sagen wir, zu Unternehmensberater X geht, diesem für die Umstrukturierung ein Mandat anbietet, für – sagen wir mal – 250.000,00 €. Gar nicht völlig außergewöhnlich. Der Berater schlägt ein (obwohl im sicher der Preis zu niedrig vorkommt).
Dann passiert etwas Dummes. Der Arbeitgeber zahlt nicht. Und zwar zu Recht: Denn die Ausgaben waren nicht „angemessen“.
Was geschieht dann? Der BGH sagt jetzt: Der Betriebsrat verfügt über eine schillernde Rechtsfähigkeit. Er ist rechtsfähig nur insoweit, als das zugesagte Honorar angemessen ist. Das gilt auch in der Situation, die der BGH vorfand – sagt der BGH: Eine Betriebsänderung (§ 111 BetrVG). Dafür ist die Hinzuziehung von Beratern sogar spezifisch geregelt. § 111 BetrVG lautet in Satz 2:
Der Betriebsrat kann in Unternehmen mit mehr als 300 Arbeitnehmern zu seiner Unterstützung einen Berater hinzuziehen;
Klingt eindeutig.
Aber der BGH meint:
Darüber hinaus – also bei unverhältnismäßigen Kosten – verschwindet die Rechtsfähigkeit einfach wieder. Der Berater steht ohne Vertrag da – keine Rechtsfähigkeit des Vertragspartners, kein Vertrag. Was macht man da nur?
Ganz einfach: Man hält sich an den Vertreter, nach § 179 Abs. 2 BGB. Die Idee ist bestechend: Bei unangemessenen Kosten ist der Betriebsrat ja nicht rechtsfähig – siehe oben. Der Betriebsrat wird rechtlich und tatsächlich jedenfalls immer vom Vorsitzenden vertreten. Überschreitet er seine Befugnisse, ist er vollmachtloser Vertreter. Der haftet, wenn ihm die Vollmacht deshalb fehlt, weil der „Vollmachtgeber“ überhaupt nicht existiert – weil er nicht rechtsfähig ist eben. Also hat der Berater den Betriebsratsvorsitzenden verklagt, der die Korrespondenz geführt und ihm das Honorar zugesagt hat. Nachdem er bei Land- und Oberlandesgericht verloren hat, hat der BGH die Haftung bejaht.
Betriebsräte zittern jetzt bundesweit…
Die Pressemitteilung wirft mehr Fragen auf als sie Antworten gibt. Das Risiko des Betriebsrats, für seine Tätigkeit mit seinem Privatvermögen zu haften, beeinträchtigt zweifelsfrei seine Funktionsfähigkeit. Angst ist kein guter Ratgeber. Andererseits kann man nicht in Abrede stellen, dass ein Betriebsratsvorsitzender keinen Schutz verdient, wenn er astronomische Honorare verspricht. Wie löst man das Dilemma?
Zunächst ist der Weg über die partielle Rechtsfähigkeit vergiftetes Terrain. Rechtsfähigkeit ist eigentlich unteilbar: Wer rechtsfähig ist, kann Verträge auf 1 € oder 1 Mio. € abschließen; seineFähigkeit hängt nicht von der Höhe der Summe ab. Dann fragt man sich, ob ein Berater, der sich mit einem Betriebsrat einlässt, nicht um die besondere Problematik wissen muss, dass er einen komischen Vertragspartner hat, der viel darf, den er aber nicht verklagen kann und der eigentlich kein Vermögen hat. Der BGH sieht diesen Ausweg, den man vielfältig rechtlich umsetzen könnte (§ 242 BGB etwa), greift aber zu kurz, wenn er meint, das sei nur relevant, wenn der Berater die Unangemessenheit des Honorars erkennen konnte. Was weiß denn ein Unternehmensberater vom Betriebsverfassungsrecht? Wäre die bessere Lösung nicht aus Sicht einer funktionierenden Betriebsverfassung, dass der Berater dieses Betriebsrats kein Geld sieht – über die Angemessenheit des Honorars hinaus – wenn er den Betriebsrat nicht über dieses Risiko aufgeklärt und eine Übernahmeerklärung des Arbeitgebers verlangt hat? Im Verbraucherschutz werden ähnliche Folgen vielfältig durch die Annahme solcher Beratungspflichten vermieden.
Das ist vernünftig, wie die Praxis zeigt:
Der erfahrene Betriebsrat schreibt bei solch großen Nummern den Arbeitgeber an und der sagt zu. Dann ist alles klar. Warum soll der Arbeitgeber da zustimmen? Seien Sie nicht unrealistisch! Eine Betriebsänderung geht eben nicht ohne Betriebsrat, mit einem obstruktiven, weil schlecht beratenen Betriebsrat ist das schwere als mit einem konstruktiven, gut beratenen Gremium.
Außerdem fährt der BGH den Arbeitsgerichten in die Parade. Ob im Rahmen von § 111 Satz 2 BetrVG überhaupt eine Angemessenheitsprüfung erfolgen muss, ist nämlich ungeklärt (siehe z.B. LAG Hamm, Beschluss vom 26.08.2005 – 10 TaBV 152/04). Jetzt nicht mehr, laut BGH. Witzig – denn dessen Entscheidungen fehlt die Divergenzfähigkeit. Sie sind sozusagen für die Arbeitsgerichte unverbindlich.
Die Betriebsparteien haben auf beiden Seiten wenig Anlass, sich über den Bescheid aus Karlsruhe zu freuen.