Jeder verdient gerne viel Geld, keine Frage.
Ein Betriebsrat, der als gelernter Telekommunikationstechniker 200.000 € im Jahr verdient, würde in Amerika leicht als Schablone für erfolgreichen sozialen Aufstieg gewertet werden.
Auf den zweiten Blick würde gerade den aufstiegsverliebten Amerikanern aber der Appetit vergehen – bei dieser Story. Es geht um den Siemens Betriebsrat und Aufsichtsrat Lother Adler, im Betrieb ein bekannter Mann, in der Öffentlichkeit erst jetzt ein Name. Wegen seines Gehalts. Das soll sich im Laufe seiner Betriebsratstätigkeit mehr als verdoppelt haben – inklusive einer angeblich bedenklichen Vertragsverlängerung über die Rentengrenze hinaus. Auf eben 200.000 € oder sogar mehr.
Nun ist das Problem am Aufstieg durch Mitbestimmung, dass sie einerseits so unamerikanisch ist – denn von der eigentlichen Arbeit ist Herr Adler längst freigestellt, er bekommt sein Geld fürs Mitbestimmen (Erzkapitalisten nennen da auch „reinreden“), nicht für den Wert der Arbeit, von der er freigestellt ist.
Anderseits ist die Karriere langjähriger Berufsbetriebsräte in Großunternehmen nicht zuletzt seit dem letzten Siemensskandal, seit VW und vielen anderen immer mit Geld verbunden. Das BetrVG will, dass Betriebsräte ein Ehrenamt ausüben, kein Geld dafür bekommen und als Ausgleich etwa für ihre Freistellung Anspruch nur auf die Vergütung haben sollen, die ihnen ohne ihre (Betriebsrats-)Arbeit im eigentlichen Job zugeflossen wäre. Alles andere ist strafrechtlich verboten, weshalb der “Fall Adler” auch schon ganz forsch als Strafrechtsfall diskutiert wird.
Der Einfluss und die Machtfülle, wie die Adlers dieses Landes sie etwa als Aufsichtsratsmitglieder haben, ist mit dem Ehrenamtsmodell oft kaum in Deckung zu bringen – was rechtlich geht, geht persönlich und menschlich kaum. Außer bei Heiligen vielleicht. Wer kann auf 3.000 € brutto schauen, wenn er den ganzen Tag mit Leuten zu tun hat, die für eine scheinbar ähnliche Arbeit das 10-fache verdienen, wenn er Unternehmensentscheidung blockieren oder bestenfalls mitgestalten kann, die zigtausende Arbeitsplätze betreffen und zu internationalen Meetings Business-Class fliegen kann, so dass er bei seinen Airlines bereits Senator-Status hat?
Niemand ist ein Heiliger und natürlich ist ein Ehrenamt ehrenhaft, aber der Mensch arbeitet auch fürs Geld. Die Macht von Betriebsräten hat bei VW seinerzeit zu echter Korruption geführt. Ob aber Adler so ein Fall ist, ist bislang völlig unklar, es gibt auch öffentliche Indizien, die dagegen sprechen. Erfreulich ist am Fall Adler, dass er nicht so sehr unter die Schlagzeile „gieriger Arbeitnehmervertreter“ gestellt wird, sondern Herr Adler das erlebt, was Vorstände täglich in der Zeitung lesen: Die Diskussion darüber, ob ihre Vergütung noch angemessen ist.
Braucht Siemens wirklich 200.000 € im Jahr, um seine gesetzliche Mitbestimmung durchziehen zu können, die ein Ehrenamt ist? Einen Aufsichtsrat zu haben, den nicht die Eigentümer bestimmt, sondern die Arbeitnehmer gewählt haben? Nein, das schmeckt immer schal, wenn man so darüber reden muss wie bei Herrn Adler. Wird das in Licht gezerrt, hat der Betroffene einen schweren Stand und muss ein System aus Mitbestimmung, Drittelbeteiligung und Betriebsverfassung rechtfertigen, das kaum jemand kennt und er nicht erfunden hat. Die meiste Siemens-Mitarbeiter dürften kaum eine Ahnung haben, warum sie einen Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat haben, die dazugehörigen politischen Diskussionen sind reine Elitenrunden ohne Breitenwirkung.
Andererseits akzeptiert jeder, dass ein Aufsichtsrat eine hohe Bedeutung hat, vor allem bei einem Unternehmen wie Siemens. Man kann deshalb ganz ketzerisch-liberal die Frage stellen, ob Betriebsverfassung und Mitbestimmung der Ehrlichkeit halber eine individuell ausgehandelte Vergütung (wie für andere Aufsichtsräte) im Hinblick auf das übernommene Amt nicht sogar zuzulassen sollten – gerade wegen des wichtigen Amts, aber unter voller Transparenz des betrieblichen Wahlvolks? Das „Wahlvolk“, die Arbeitnehmer, hätten dann viel mehr Interesse daran, was „ihr“ Aufsichtsrat eigentlich macht. Der Abschied vom Ehrenamt würde in dieser Hinsicht viel falschen Rechtfertigungsdruck von der Person nehmen und mehr Transparenzdruck auf die Funktion verlagern.
Das wäre doch mal etwas… Utopia, ich weiß, aber reizvoll.