Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
20.01.2013

Das war’s in Sigmaringen

Alle Vorwürfe eventueller Nostalgie und feuilletonistischer Anwandlungen sind berechtigt. Aber es ist auch Sonntag, klar?

Die süddeutsche Stadt Sigmaringen kennt man im Norden nicht unbedingt, was auch an der Geschichtsvergessenheit unserer preußischen Zauselköpfe liegt, die manchmal glauben, man müsse Schwaben belehren, dass es in Berlin nicht „Weckle“ sondern „Schrippen“ heiße. Stimmt zwar, aber der ethnische Abgrenzungsanspruch zwischen Schwaben und Preußen ist etwas lächerlich, denn beide Landesteile sind nun einmal durch das Erbe der Hohenzollern verbunden. Aber Herr Thierse hat das sicher in hunderten Emails nachgelesen, mittlerweile. Sigmaringen jedenfalls, das ist ein Hohenzollernsitz und deshalb, krude gesagt, ebenso ein Zeichen Preußens in Schwaben wie Sanssouci ein Zeichen Schwabens in Preußen…ich lasse es lieber, bevor ich mir auch noch die Finger verbrenne.

Sigmaringen war immer ziemlich militarisiert. Als z.B. die Vichy-Regierung in Frankreich am Ende des 2. Weltkriegs nicht mehr zu halten war, floh sie – nach Sigmaringen, weshalb in den Straßen „befreundete“ französische Uniformierte Einzug hielten. Gleich nach nebenan – ins berüchtigte Schloss Grafeneck, einer tatsächlich so genannten „Tötungsanstalt“ – konnte einen in den 40er Jahren der Weg führen, wenn die Braunen befanden, man sei „lebensunwert“.

Geschichtsgetränkter Boden also, und keineswegs nur schöne Geschichte.

Nichts von alledem wusste Ihr Autor, als er – zufällig am amerikanischen Unabhängigkeitstag (der damals in Deutschland noch unbekannter als heute war) des Jahres 1988 – mit dem Zug in Sigmaringen ankam und sich bei hunderten neuer Rekruten am Bahnhof einreihte, um zur Graf-Stauffenberg-Kaserne gefahren zu werden. Das war der Beginn meiner Wehrdienstzeit, die damals 15 Monate dauern sollte. Bereits ein Jahr danach, das war beschlossene Sache, sollte die Wehrpflicht auf 18 Monate steigen („W18“), so dass wir nach einer Grundausbildung in einem älpischen Supersommer mit Regeltemperaturen von jenseits der 30 Grad auf unseren nächtlichen Wachgängen bereits hämisch „W18, wir heißen Dich willkommen“-Graffiti aufgesprüht hatten. Leider kam dann eine Regierungskrise und die damals regierende Koalition (die auch heute regiert) kürzte in einer Nacht- und Nebelaktion statt dessen auf 12 Monate. Wir ließen die Graffiti, wo sie waren, um uns ewig daran zu erinnern, dass Hochmut vor dem Fall kommt. Unsere 15 Monate in Sigmaringen haben dann allerdings jeden von uns mit Sicherheit geprägt, vor allem aber ein Bild von der Bundeswehr vermittelt, das wir nicht erwartet hatten. Und vom kalten Krieg auch: Bei der Übung in einem lächerlichen Atomschutzbunker nach einem Alarm um 3 Uhr morgens hatten alle – alle – Teilnehmer das Motto „nie wieder Krieg“ erstaunlich emotional verinnerlicht. Uns stand die blanke Angst in den Gesichtern: So könnte es sein. Mehr – ein „Mehr“ an Schutz, Ausrüstung, Möglichkeiten – gäbe es dann nicht. Es passierte bekanntlich nichts, und oft musste man nicht an Krieg denken, weil es mehr Spaß machte, die Panzer und Geländewagen durch den Schlamm zu jagen.

Damit ist es nun vorbei, wie die Wehrpflicht endete, wird auch Sigmaringen als Standort endgültig wegfallen, die Kaserne geschlossen.

Soldaten können nicht vor die Arbeitsgerichte ziehen und werden einfach verlegt, weil man sie auch nicht kündigen kann. Für die zivilen Beschäftigten – zuletzt wohl noch rund 200 – sieht das anders aus. Auch eine Armee muss sich da mit Mitbestimmung, sozialverträglichem Stellenabbau und der Rechtfertigung ihrer Maßnahmen vor einem Arbeitsgericht abfinden. In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung war sogar von einer befürchteten „Klagewelle“ die Rede. Das mag passieren, aber die Standortschließung ist nun einmal endgültig.

Ich jedenfalls schwöre, dass ich 1988 noch gar nicht wusste, was ein Arbeitsgericht sein könnte. Das war der Zeit vorbehalten, nachdem ich Sigmaringen wieder verließ. Aber glauben Sie, irgendwie macht es mich traurig, dass so ein Ort wie die Kaserne oberhalb der Stadt jetzt dichtmachen soll. Es war zur Überraschung fast aller, die damals etwas verloren am Bahnhof standen, nämlich eine erstaunlich lehrreiche Zeit da oben gewesen. Und sei es nur, dass man einen anderen Blick auf die Dinge hat: Wir waren uns so sicher, dass Frieden nur durch unsere Anwesenheit gesichert werden könne – Krieg aber die Vernichtung von allem bedeuten würde, das wir kannten. Der Frieden hielt bekanntlich, die Konfrontation mit dem Warschauer Pakt nicht. Wir waren tatsächlich die reine Friedensarmee. In diesem Frieden trainiert man am gleichen Ort, in Sigmaringen, heute für den Einsatz in Afghanistan. Die 10. Panzerdivision, die in Sigmaringen stationiert ist, soll da eine Führungsrolle bekommen. Das ist ein heißer Krieg. Wir konnten und wollten uns den damals nicht vorstellen. Denn wir hatten Angst, dass es je dazu kommen würde.

Ich befürchte, ich werde alt.