Nicht, dass ich über einem Projekt und vielen Fristen eine Weile nichts gepostet habe. Nein, das sagt Frank Sennhenn in Focus Online über den erstaunlichen Zustand, dass man – kaum überspitzt – die Universitätsstadt Mainz nicht mehr mit einem Zug ansteuern kann. Das wäre sicher jedem peinlich, der in Herrn Sennhenns derzeit nicht beneidenswerter Position ausharrt, denn der Grund für diese Infrastrukturkatastrophe liegt in zu wenig Personal im Fahrdienstleitbetrieb. Die meisten sind krank (Sommer) oder haben Urlaub (Sommer). Und Herr Sennhenn ist wohl der Chef.
Während der deutsche Zugverkehr damit langsam auf britisches Niveau kurz vor dem Ende der British Rail(ways) absinkt („the train ist unfortunately late as there ist the wrong type of snow on the track…“), fragt man im Boulevard, ob man in so einer Situation nicht die Urlaubmacher einfach zurückholen kann. Darauf kann man eine gemischte Antwort geben. Rechtlich zutreffend und einer Recherche stand hält die Antwort von Nathalie Oberthür: Das ist unmöglich. Stimmt. Das liegt am deutschen Schuldrecht: Die Gewährung des Urlaubs ist die Erfüllung eines Anspruchs, § 362 BGB. Eine Erfüllung kann man nicht rückgängig machen. Ob tarifvertraglich – oder gar arbeitsvertraglich – etwas anderes vereinbart werden darf (daran kann man denken, weil § 13 Abs. 2 BUrlG die Rückruffrage – die im ganzen Bundesurlaubsgesetz nicht geregelt ist – zwangsläufig nicht für unveränderlich erklärt), ist in Mainz egal: So eine Vereinbarung wurde scheinbar nicht getroffen, sonst würde die Bahn bereits zurückholen.
Die Antwort des Pragmatikers kann natürlich anders aussehen. Man kann beim Arbeitnehmer betteln. Ist er einverstanden, kann er die nervige Großfamilie natürlich auf Kosten der Firma auf Mallorca lassen und selbst im Fahrdienstleiterstand entspannen. Kann man ihn nicht erreichen, was im Urlaub leider ja oft so ist, erübrigt sich ganz pragmatisch auch die Frage, ob man zurückrufen darf, es hört ja niemand zu. Kann man ihn erreichen und er weigert sich, kann man versuchen, ihn zu zwingen. Nur: Realistisch ist das nicht. Kommt er nicht, bleibt der Fahrbetrieb weiter eingestellt. Die Abmahnung oder gar Kündigung nach seiner Rückkehr die man zum Gegenstand jahrelanger Rechtsstreitigkeiten machen kann, die lohnt da nicht wirklich.
Nein. Arbeitsrechtlich ist tatsächlich die Frage interessanter, wer für die Planung des Personaleinsatzes verantwortlich ist. Beruht das alles auf einem Planungsfehler, muss sich – angesichts der desaströsen Folgen – der Verantwortliche warm anziehen. Bei bestimmten Sachverhaltsgestaltungen und genügend Dampf auf dem Kessel der Bahn (als Arbeitgeber), kann man da sogar an Kündigungen denken. Der Fehler muss nur grob genug sein. Denken Sie mal: Der überragende Infrastrukturauftrag der Bahn, kriegs- bzw. wehrrelevant! – hat vor nicht langem noch dazu geführt, dass Lokführer hoheitlich waren (deshalb verbeamtet), Busse der Bahn keine Konkurrenz machen durften und so fort. Da dürfte es als Hochverrat gelten, wenn man Mainz vom Bahnverkehr abschneidet, wegen eines Planungsfehlers.
Vermutlich wird der Betroffene – auch wenn’s nicht Herr Sennhenn ist – einwenden, dass der Arbeitgeber nur Personal spart und er niemanden zum Verplanen hatte.
Da hilft nur noch die Erinnerung an Britisch Railways: Vielleicht war es die letzten Wochen so heiß, dass die Schweller am Mainzer Hauptbahnhof nicht mehr sicher das Gleis in seine Bett halten? ThyssenKrupp hatte keinen sommerfesten Stahl geliefert? Dann kann – wirklich – niemand etwas für eine Situation, die Ihre Großmutter Ihnen vor 20 Jahren als Spinnergeschichte abgetan hätte. Schließlich erzählte ein Zeitzeuge, dass 1945 jedenfalls die Berliner S-Bahn fuhr, Kriegszerstörung hin oder her. Aber das mag ein anderes Thema sein.