Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
06.07.2011

Das Weberling-Gutachten ist da – Stasibehörde, traurig…

(c) by luisvilla, flickr, creative commons

Über die Bemühungen Roland Jahns, sich der Mitarbeiter in der sog. Stasiunterlagenbehörde (auch, nach dem jeweiligen Amtsinhaber Gauck-, Birthler-, oder eben Jahn-Behörde genannt, eigentlich aber BStU) zu entledigen, die selbst bei der Stasi gearbeitet haben, hatten wir berichtet. Die öffentlich geäußerte, z.T. (vor allem durch Dieter Wiefelspütz) völlig unsachliche und auch unbegreifliche Kritik am Amtsinhaber war und ist ein Skandal. 20 Jahre Nichtstun rechtfertigen für keinen politisch Verantwortlichen, einfach auf den „Rechtsstaat“ zu verweisen und schulterzuckend wie scheinheilig zu bekunden: „Da kann man nichts machen“. Jahn hat nur ausgesprochen, dass es nicht hinnehmbar sei, Stasimitarbeiter an der zentralen Aufarbeitungsstelle des von ihnen angerichteten Unrechts einfach weiter wirken zu lassen. Das ist nicht nur unerträglich, sondern eine Perversion der Geschichte. Wie es dazu kam, ist eine ganz andere Sache, die hier nicht erörtert werden kann.

Kollege Johannes Weberling hat nun im Auftrag der Behörde das lang erwartete – beileibe nicht das erste – Gutachten über die Trennungsmöglichkeiten von solchen Mitarbeitern vorgelegt. Es kommt zu dem wenig überraschenden Ergebnis, dass Kündigungen nicht, Versetzungen in andere Behörden sehr wohl möglich sind (siehe untenstehenden Link).

Dieses Ergebnis hätte sich übrigens in jeder anwaltlichen Erstberatung erzielen lassen (man kann es z.B. auch in unserem Blogeintrag vom 20.03.2011 nachlesen), denn es liegt nach einer Schilderung der Sachlage arbeitsrechtlich auf der Hand. Damit ist aber nur der Skandal vergrößert, der im bisherigen Nichtstun der Behörde in dieser Hinsicht liegt. Denn Kündigungen sind (auch ein Ergebnis des Gutachtens) weit überwiegend wegen der bisherigen Kenntnis und gleichzeitiger Untätigkeit der Behörde ausgeschlossen.

Ein eigentlich offensichtliches Ergebnis auf 71 Seiten zu begründen, ist entgegen des ersten Eindrucks übrigens alles andere als sinnlos. Im Gegenteil: In der öffentlichen Diskussion wurde dermaßen viel (arbeitsrechts-) Kenntnisfreies zu diesem Thema gesagt, dass nur eine wirklich ausführliche und jeden Idiotentest bestehende, juristisch alle Aspekte abdeckende Aussage wieder Sinn in die Debatte bringen kann. Roland Jahn kann auch nicht zugemutet werden, jeden neuen unsinnigen Einwand mit juristischen Einzelaussagen zu bekämpfen. Man kann jetzt jeden, der guten Willens ist, auf das Gutachten verweisen. Diejenigen natürlich, die von Berufs wegen nicht lesen können oder wollen (Dieter Wiefelspütz; was ist in den Mann gefahren? Ein „Eiferer“ sei Jahn, eine Menschenjagd legte er nahe und scheut sich nicht, das auch in anderen Zusammenhängen zu sagen, wenn es um die Aufarbeitung der Diktatur geht) werden sich jetzt entweder „bestätigt“ sehen oder aus anderen Gründen unbelehrbar bleiben.

Das Gutachten von Weberling indes erfüllt nicht nur die genannten Mindestanforderungen, sondern ist so lesenswert, dass man es als zeitgeschichtliches Dokument bezeichnen möchte.

Das gilt vor allem für die einleitenden 16 Seiten. Hier wird das System, das sich der Rechtsstaat für den arbeitsrechtlichen Umgang mit belasteten Mitarbeitern zurechtgelegt hat, in einer kaum dagewesenen Dichte aufbereitet (es hilft vielleicht, dass ein Gutachten einen Mandanten überzeugen und keine Kollegen beeindrucken soll). Und es reicht so erheblich über eine juristische Begutachtung hinaus. Es wird zur rechtsgeschichtlichen Aufarbeitung, die vielfach nachdenklich macht. So hat der Einigungsvertrag eine Sonderkündigungsmöglichkeit vorgesehen. Allerdings setzte sie eine Tätigkeit im „öffentlichen Dienst“ der DDR zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung voraus. Nur: Ob die Stasi als „Schild und Schwert der Partei“ dem Begriff des „öffentlichen Dienstes“ zugeordnet werden könnte, hat man…offen gelassen. Erstaunlich, aber eben historisch: Bei der BStU wurden alle Möglichkeiten der Trennung ungenutzt gelassen. Alle. Bis Herr Jahn kam.

(c) michael.berlin, flickr, creative commons

Diejenigen, die eine Wiedervereinigung bereits als ausgebildete (Arbeits-?) Juristen erlebt haben, werden außerdem die außerordentlich lesbare Darstellung zu schätzen wissen, wie das BAG die Verhältnismäßigkeitsfrage bei Kündigungen wegen Stasi-Tätigkeiten entwickelt hat. Nachdenklich macht auch hier: Ausnahmsweise waren es nicht die Bundesrichter, die hier unüberwindbare Hürden auftürmten. Nein. Sie haben den öffentlichen Arbeitgebern alle vernünftigen Instrumente schon früh an die Hand gegeben. Aber die BStU hat keinen Gebrauch davon gemacht. Warum? Eine Frage für Historiker. Dass der Verweis auf die bisherigen Behördenleiter viel zu kurz griffe, ist angesichts der erschreckenden Komplexität der Sachlage ein wichtiger Hinweis, wenn man damit beginnen wollte. Als Gutachter hat Weberling auch individuelle Fälle auswerten können und scheut sich nicht, mitzuteilen, dass teilweise Personen mit sehr hohem „Verstrickungsgrad“ bei der BStU arbeiten.

Das großartige abgefasste Gutachten und der Mut von Roland Jahn dürfen jetzt kein Schlusspunkt sein. Dass Stasimitarbeiter nicht endlich um ihre eigene Versetzung bitten, kann man nur kopfschüttelnd hinnehmen. Dass die Bundesrepublik sie jetzt nicht endlich an einer weniger provokanten Stelle bis zur Rente unterbringt, kann keine Regierung jetzt mehr rechtfertigen, ohne unangenehme Fragen gestellt zu bekommen. Aber vom Arbeitsrecht abgesehen muss jetzt endlich eine längst überfällige Diskussion beginnen – über unsere Aufarbeitung der Geschichte, über unser Versagen dabei. Es brodelt doch überall: Die Stasiaufarbeitung in Potsdam hat auch jetzt erst begonnen (und wieder ist von „Menschenjagd“ die Rede, Herr Wiefelspütz…). Zeit wird es. 1968 hat eine ganze Generation denjenigen, die Schlussstriche ziehen und keine Menschenjagden veranstalten wollten die Frage gestellt: „Und was habt Ihr damals – und danach – eigentlich gemacht?“. Die Antworten fielen über Jahrzehnte hinweg bekanntlich erschreckend aus. 1968 lag 23 Jahre nach dem Ende der ersten deutschen Diktatur. Wir sind wieder soweit.

Stil und Entschlossenheit geben Roland Jahr und das Gutachten von Weberling vor. So könnte es etwas werden.

Johannes Weberling ist in Berlin kein Unbekannter. Der Kollege ist kein ausgewiesener Arbeitsrechtler, sondern vor allem im Presserecht bekannt geworden, verfügt aber nachweislich über viel arbeitsrechtliche Erfahrungen.

Stasi-Unterlagenbehörde: www.bstu.bund.de

Weberling-Gutachten: http://www.bstu.bund.de/DE/BundesbeauftragteUndBehoerde/Aktuelles/gutachten.pdf?__blob=publicationFile

Blog vom 20.03.2011: http://www.bstu.bund.de/DE/BundesbeauftragteUndBehoerde/Aktuelles/gutachten.pdf?__blob=publicationFile