Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
15.11.2011

Das Paradies

Liegt in Bayern bei der 24. Kammer des Arbeitsgerichts München.

Die hat am 8. Oktober 2010 (24 Ca 861/10) jedenfalls ein paradiesisches Urteil verkündet, wenn man es aus Betriebsratsperspektive betrachtet. Fall: Betriebsrat ist befristet beschäftigt. Das findet er doof, zumal er nicht verlängert wird.

Also klagt er.

Ein Fall für § 78 BetrVG – wird der Betriebsrat nachweislich nur deshalb nicht verlängert, weil er Betriebsrat war („solche wollen wir hier nicht“), dann kann er auf Entfristung klagen. Dumm nur: Das war hier nicht so. Trotz entsprechenden Sachvortrags findet sich im Urteil keine Feststellung dazu. Man muss also davon ausgehen, dass er nicht wegen seiner Betriebsratstätigkeit befristet blieb. Auch Betriebsratsmitglieder waren übrigens teilweise entfristet worden, der Kläger aber nun mal nicht.

Fall zu Ende? Nein!

Bevor man da aber Schiffbruch erleidet, kann das Gericht ja noch schnell einen Anspruch erfinden. So auch hier. Das Arbeitsgericht München denkt sich: Artikel 7 der Richtlinie 2002/14/EG verpflichte zu einem Mindestschutz von Arbeitnehmervertretern. Das deutsche Recht sein lückenhaft und deshalb auszufüllen: Simsalabim, da isser, der Entfristungsanspruch.

Richter haben viele Privilegien, aber eigene akademische Ansichten durch die Instanzen zu pauken, gehört nicht dazu. Es geschieht auf dem Rücken von Prozessparteien. Bei nicht mehr vertretbaren Rechtsansichten ist Schluss. Tatsche ist: § 78 BetrVG schafft eben diesen Mindestschutz. Die Lücke gibt es gar nicht.

Das Arbeitsgericht liefert selbst den Beweis: Es hält auf S. 7 der Entscheidung dem Gesetzgeber ja vor, für Jugendvertreter gäbe es mit § 78a BetrVG eine solche Regelung, warum also nicht für Betriebsräte? Ganz einfach: § 78a BetrVG schützt auch nicht vor einem Ausscheiden aus dem Betrieb. Das BAG hat vielmehr selbst festgehalten, dass die Vorschrift Jugendvertreter nicht besser stellen dürfe als Betriebsräte, die im Falle einer Befristung – ausscheiden (BAG, Beschluss vom 15. 11. 2006 – 7 ABR 15/06 – Rd.-Nr. 26):

Die nur im Rahmen von befristeten Arbeitsverhältnissen beschäftigten Mandatsträger sind vor den nachteiligen Folgen des Zeitablaufs einer vereinbarten Befristung im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern nicht besonders geschützt. Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, ein Mitglied einer Arbeitnehmervertretung in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zu übernehmen oder das befristete Arbeitsverhältnis bis zur Beendigung des Mandats zu verlängern.

Die Urteilskopie oben ist verlinkt auf die Kanzlei Rüdiger Helm in München. Das ist der Kollege, der dieses Urteil erstritten hat (und sich nach eigenem Bekunden, was ihm unbenommen ist, darüber sehr freut). Er hat bereits einmal einen bitterbösen Kommentar (von Bauer, „Ein Stück aus dem Tollhaus: Altersbefristung und der EuGH“ – NZA 2005, 800) herausgefordert. Denn Herr Helm ist auch mitverantwortlich dafür, dass der EuGH 2005 die Altersbefristung im TzBfG kippte. Großartige Leistung, aber mit fragwürdiger Methode. Denn der Prozess war angeblich ein Scheingefecht, das nur zu dem Zweck einer Richtervorlage inszeniert wurde. Ob das so war? Viele Indizien dafür gibt es. Warum ein Gericht da mitspielt? Kann man nicht wirklich beantworten. Warum aber die offenbar rechtskräftige Entscheidung, die wir hier besprechen, überhaupt existieren muss, wenn man doch wunderbar über § 78 BetrVG hätte argumentieren können, ist unbegreiflich. Außer, man begreift das als Akt richterlicher Selbstdarstellung, die leider den Eindruck vermittelt, Richter stünden über dem Gesetz.

Eine No-Go-Area.