Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
18.10.2010

Das Ende des Stuttgarter Ossi-Prozesses - Tschüss, “Minus-Ossi”

 Ein Nachruf aus Sicht des Arbeitgeberanwalts:

Für eine gewisse Zeit hatte nicht einmal “Emmely” solche Schlagzeilen gemacht. Der sog. Stuttgarter Ossi-Prozess (hier eine kleine Presseschau) ist zu Ende. Es steht (in Stuttgart) damit in diesem Fall fest, dass wegen der Bezeichnung “Ossi” ein Schadensersatz nicht auf Basis der §§ 1, 15 AGG verlangt werden kann.

Weil ich den Fall für den beteiligten Arbeitgeber vertreten hatte, hatten wir uns bekanntlich entschlossen, ihn auf dem Blog im laufenden Verfahren nicht zu kommentieren. Die Parteien des Rechtsstreits haben sich jetzt außergerichtlich auf eine Beendigung geeinigt.

Was bleibt?

Eine hitzige Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit über die Frage, ob “Ostdeutsche” eine “Ethnie” sind, wurde ziemlich schnell ad acta gelegt. Neue Gräben sind nicht aufgerissen worden. Ich hatte den Eindruck, die meisten Fachbeobachter sahen das Verfahren als pfiffigen Trick eines Rechtsanwalts, seiner Mandantin, auf deren zurückgesandtem Lebenslauf neben dem Wort “Ossi” ein Minuszeichen eingekreist war, eine Art Genugtuung zu verschaffen. In der Fachöffentlichkeit war die Debatte weit weniger erregt, allerdings fangen in letzter Zeit einige Autoren an, zu entdecken, dass der Fall juristisch ein Goldstück ist (Greiner, DB vom 03.09.2010, Heft 35, hat uns so die “Putativdiskriminierung” beschert). Das liegt daran, dass in der Öffentlichkeit gleich eine Phalanx an Ethnologen Stellung bezog, ob das Diktum des Arbeitsgerichts richtig sein könne, es handle sich bei “Ossis” nicht um eine Ethnie.

Natürlich ist es naheliegend, solche Fachleute zu fragen. Bei § 1 AGG aber ist es ein absoluter Irrweg. Man kann den Ausgang eines solchen Fall nicht davon abhängig machen, was die (nicht ergebnisorientierte) Ethnologie gutachterlich als “Ethnie” sieht und was nicht; in den letzten 20 Jahren allein hat es da erhebliche Änderungen gegeben. Zeitweise hat man den Begriff “Ethnie” durch “Identität” ersetzt, was die Diskriminierung von jedermann unter § 1 AGG fallen ließe - will man das in einem Rechtsstaat ernstlich so lange machen, bis die Ethnologie ihre Meinung wieder ändert (hat sie teilweise schon - und wer ist der entscheidende Teil?…).

§ 1 AGG meint mit dem Begriff “ethnische Zugehörigkeit” nur, dass man das Phänomen “Rssismus” bekämpfen will. Ich habe das nicht nur im Verfahren, sondern auch öffentlich mehrfach vertreten und meine deshalb, dass das Arbeitsgericht Stuttgart im Ergebnis richtig liegt, in der Begründung aber etwas zu kurz greift. Es kommt, wie das Gericht meinte, sicherlich darauf an, ob man im groben überhaupt eine Gruppe identifizieren kann, die man im Gesetzessinne als “Ethnie” ansehen könne - das ist aber nur eine holzschnittartige Näherung an das, was Ethnologen darunter verstehen. Dieser (vom Arbeitsgericht vollzogene) Holzschnitt ist wichtig, um alle Diskriminierungen herauszufiltern, die man nicht als rassistisch bezeichnen kann. Und was auch immer man sagt: Das Verhalten gegenüber Wessis im Osten und Ossis im Westen ist manchmal merkwürdig, aber sicher nicht rassistisch.

Die praktische Relevanz ist übrigens sehr gering. Sie besteht eigentlich nur in den Fällen, in denen es um Inländerdiskriminierung geht (Schwaben, Ossis, Sachen, Fischköppe, Bayern etc…), weil hier eine Abgrenzung fehlt, die gesellschaftlich akzeptiert ist. Bei fast allen AGG-Fällen geht es aber sonst um echte Rassismen, und es besteht kein Anlass, darüber zu rechten, ob der ghanaische Postbotenbewerber einer “Ethnie” zugehörig ist - wenn er mit mäßigen Deutschkenntnissen und/oder aufgrund einer dunklen Hautfarbe abgelehnt wird, liegt der Rassismus auf der Hand.

Auf Wiedersehen, Ossi-Fall. Dass übrigens das beklagte Unternehmen stets betont hatte, nicht nur zahlreiche “Ossis” zu beschäftigen, sondern gar nicht diskriminiert zu haben (”Minus” für die Qualifikation), dafür hat sich in der Öffentlichkeit keiner mehr interessiert. Man hat es halt nicht in der Hand.  

Ein Lob zum Schluss unter Kollegen: Mein “Kontrahent”, Wolfgang Nau aus Kirchheim, hat es trotz der öffentlich aufgeladenen Debatte vermocht, der Versuchung zu widerstehen, seinen Stellungsvorteil als “Opferanwalt” unangemessen auszuspielen. Dass er sich auf die Vertretung seiner Mandantin konzentriert hat, rechne ich ihm hoch an und bin sicher, nicht jedem wäre diese Versachlichung gelungen. Wir waren uns nach meinem Eindruck einig, dass wir den Fall zwar allzu gerne bis zum BAG oder darüber hinaus ausgetestet hätten, aber wir sind Rechtsanwälte: Der Mandant steht im Vordergrund.  Immer.