Vor 12 Jahren hatte ich – europäische Grundrechte und AGG waren damals noch in der Zeugung – einen komischen Fall (habe ich dauernd, aber warten Sie mal, ich komme noch zum Punkt). Da hatte Herr A. In einer (sehr) hohen leitenden Position im Jahr X eine „Vertragsverlängerung“ (es ging um seinen Führungsposten, beim Unternehmen hat er unfassbare 45 Jahre verbracht) von 5 Jahren unterschrieben. Ende wäre danach 2002 gewesen. Er erreichte aber schon im Februar 2000 das 63. Lebensjar. Mit seinem Arbeitsvertrag 1968 (an das Jahr erinnere ich mich nicht besser als andere an ihre Geburtsjahre) hatte er unterschrieben, dass die „Allgemeinen Vertragsbedingungen“ Bestandteil in ihrer jeweils geltenden Fassung seien (Klauselkontrolle gab es damals nicht). Er hatte die von 1968 noch. Schöne Passage:
Unverheirateten Fräuleins ist in der Regel bei Verheiratung die Kündigung auszusprechen, wenn nicht dringende betriebliche Interessen dagegen stehen.
Im Ernst. Aber er war nicht unverheiratet und auch nie ein Fräulein.
Allerdings stand dort eine Altersgrenze, nämlich gestaffelt nach Position; Pförtner am längsten, Chefs mit 58 Jahren. Das wurd eimmer mal wieder verändert und bleibe erst einmal bei 63 stehen. Danach endete das Arbeitsverhältnis automatisch. Was galt nun – die Vereinbarung oder die Altersgrenze?
Ich habe mich immer gefragt, warum es Altersgrenzen eigentlich gibt. Es ist wohl kulturell, wobei die Kultur sich alle 10 Jahre ändert. Aus dem juristischen Erleben der 90er galt: Man kann die ganzen Arbeitsplatzbesetzer gar nicht schnell genug Frühverrenten. Heute hat man eher Angst, dass sie zu früh gehen und lehnt eifrig Altersteilzeitanträge sogar im öffentlichen Dienst ab, wo es das Modell – anders als im Gesetz – noch als Tarifvertrag gibt.
Geht das, wäre die interessante Frage. Darauf hat es vielfältige Antworten gegeben in den letzten Jahren. Sie lauteten fast immer, dass Altersgrenzen jedenfalls in Ordnung seien, wenn sie sich an der gesetzlichen Rentenversicherung und deren Renteneintritt orientierten.
Diese Antwort hat das BAG jetzt erneut gegeben (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 5. März 2013 – 1 AZR 417/12 ). Danach kann eine solche Altersgrenze sogar in einer Betriebsvereinbarung festgelegt werden. Erstaunlich, oder? Altersdiskriminierung wird allenthalben bekämpft, gesetzliche Altersgrenzen für Arbeitsverträge gibt es nicht und in den USA oder UK sieht man 70-jährige arbeiten, nicht nur aus der Not. In Deutschland bleibt es erst einmal dabei. Aber wir verquicken hier Sozialpolitik und Arbeitsrecht. Grundsätzlich entlasten länger Arbeitende ja die Sozialkassen erheblich. Ob Unternehmen alle Älteren loswerden wollen, ist unbekannt – sie fürchten sich eher vor dem deutschen Phänomen, dass man niemanden mehr loswird, egal, was man über ihn denkt. Einen Grund, Renteneintritt und Arbeitsvertragsdauer aneinander anzunähern, gibt es weder aus Sicht des Arbeits- noch des Sozialversicherungsrechts.
Begründungen fallen da naturgemäß wenig juristisch, sondern mehr appelativ aus. Die Pressemitteilung des BAG sagt:
Die Vereinbarung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses ist auch keine, die Altersgrenzenregelung der Gesamtbetriebsvereinbarung verdrängende einzelvertragliche Abmachung.
Gab es da nicht einmal ein Günstigkeitsprinzip? Wer schwingt sich auf, zu behaupten, dass es „günstiger“ sei, wenn man in Rente geht?
Nein. Die Diskussion ist in Erfurt gestern nur vertagt worden. Altersgrenzen sind auf Dauer einfach Unfug. Der war als „grober Unfug“ doch, glaube ich mal, sogar strafbewehrt. Oder?