Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
27.05.2011

Arbeitsrichter und DDR-Unrecht (Potsdamer Variante)

Auch 20 Jahre nach der Wende holt die DDR-Vergangenheit so Manchen ein.

In Potsdam hat das ARD-Magazin “Klartext” jetzt aufgedeckt, dass ein derzeit am Potsdamer Arbeitsgericht tätiger Richter nicht nur bereits in der DDR Richter war, sondern dort ganz besondere Tätigkeiten verrichtet hat. Er hat Haftbefehle ausgestellt. Gegen Ausreisewillige. Weil sie einen Ausreiseantrag gestellt hatten.

Diese (nach den Helsinki-Verträgen völkerrechtswidrige) Praxis der Behinderung von Ausreisen war besonders abscheulich, weil sie ausschließlich der Einschüchterung und dem psychischen Terror gegenüber den Menschen diente, die einfach nur den Mauerstaat verlassen wollten (und das auch durften). Die Haftbefehle sind auch nach dem Recht der DDR rechtswidrig gewesen.

Dieser Richter – den “Klartext” als Herrn Vorsitzenden Richter am Arbeitsgericht Lutz Weide identifiziert – kommt sogar in einem halbdokumentarischen und vielfach ausgezeichneten Film von Sybille Schönemann vor. Sie war mit ihrem Mann eine der Ausreisewilligen, die einen solchen Haftbefehl bekamen. Den Kindern der beiden erzähle die Stasi, die Eltern kämen in ein paar Stunden wieder. Tatsächlich konnte man sich erst nach einem Jahr (!) in der Bundesrepublik West in die Arme schließen. Wer Kinder hat, weiß, wovon wir reden: Diese Narben verheilen nie.

Richtern, die solche Haftbefehle nicht ausstellten, drohten keine unzumutbaren Nachteile.

Jetzt hat die Potsdamer Justiz einen Skandal. Und nicht nur die Arbeitsrechtler, die in diesem Gerichtsbezirk arbeiten, werden beobachten, wie man damit umgeht. Vieles ist unklar: Hat Herr Weide seine Tätigkeit gegenüber dem Richterwahlausschuss geschönt? Das ist unbekannt und kann nicht einfach unterstellt werden. Das Interview in Klartext mit dem damals zuständigen Fachminister (Hans-Otto Bräutigam) legt eher nahe, dass man sich solchen Tätigkeiten gegenüber nachsichtig zeigte. Die Auffassung damals war anscheinend, dass es eine “Weisungslage” gegenüber den Richtern gab, der sie sich zu fügen hatten, und das letztlich eine kleine Sünde sei. Rainer Schröder von der HU Berlin widerspricht vehement. Die Einschätzung von damals war falsch, wenn es sie so gegeben hat. Die Folgen – im Fall von Frau Schönemann etwa – sind auch so gravierend, für Eltern und Kinder beiderseits, dass bei richtiger Betrachtung eine Eignung für das Richteramt nicht vorlag. Nur: Kann man diese Fehleinschätzung rechtlich einwandfrei heute noch korrigieren? Das ist fraglich. Und dass es fraglich ist – womit die Antwort nicht gegeben ist – wird Frau Schönemann noch weiter verzweifeln lassen.

Ein Richter ist jedenfalls beschädigt, und zwar erheblich. Das ist ein Ergebnis der deutschen Geschichte. Die Geschichte, die nicht vergehen kann.

Es gibt keine offiziellen Stellungnahmen der Justizverwaltung, von Herrn Weide oder aus der Politik.

Weblinks:

Sendung “Klartext” vom 25.05.2011: http://www.rbb-online.de/klartext/archiv/klartext_vom_25_05/umstrittene_vergangenheit.html

Kritisches aus der “Märkischen Allgemeinen”: http://www.maerkischeallgemeine.de/cms/beitrag/12095020/62249/Justizminister-haelt-Abgeordneten-von-CDU-FDP-und-Gruenen.html

Die Potsdamer Neuesten Nachrichten – mit teilweise erschreckenden Leserkommentaren: http://www.pnn.de/brandenburg-berlin/438724/