Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
06.05.2013

Abzocke oder Kostenerstattung? Kein Sozialkampf im Kostenfestsetzungsverfahren

Bei Gewerkschaften wird schnell alles zum sozialen Kampf. Kampf!

So auch die Frage der Kostenerstattung. Sie war Gegenstand einer wunderbaren Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg vom 3.01.2013 (17 Ta (Kost) 6118/12). Ihr fehlt es nur an öffentlicher (kostenfreier) Verbreitung.

Sie müssen dazu wissen (und wissen es vermutlich auch): In der ersten Instanz der Arbeitsgerichtsbarkeit gibt es keine Kostenerstattungsansprüche für Rechtsanwaltskosten (§ 12a ArbGG). Jeder zahlt seinen Anwalt selbst. Wenn er einen hat. Deshalb kann Ihnen auch egal sein, wer auf der Gegenseite die Prozessvertretung hat: Diese Kosten müssen Sie nie tragen.

Anders sieht es dann in der Berufungsinstanz aus: Da gilt, dass der Unterlegene, wie im Zivilprozess sonst auch, alles zahlt. Auch den Anwalt des Gegners.

„Alles“ ist aber – wie stets – natürlich eine Übertreibung. Nicht „alles“. Die Zivilprozessordnung (§ 91 ZPO) lässt nur die Erstattung von Kosten zu,

soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren.

Was ist jetzt wieder „zweckentsprechend“? Das ist jedenfalls immer ein Anwalt, zumal beim Landesarbeitsgericht quasi Anwaltszwang herrscht. Könnte man denken.

Aber so einfach ist das natürlich auch wieder nicht. Neben Anwälten dürfen nämlich beim LAG auch Verbandsvertreter auftreten. Das sind zum Beispiel Gewerkschaftssekretäre. Für den Arbeitgeber ist das kostenseitig gar nicht so unattraktiv. Er bekommt erst einmal einen in der Regel ruhigen Profi, der sich auf das Wesentliche beschränkt; und keinen von Testosteron getriebenen Krawallanwalt, der Polemik auskübelt und das Wesentliche darin sieht, vor seinem Mandanten Bulldogge zu spielen (ich übertreibe natürlich; ein wenig…). Vor allem aber: Die Rechtssekretäre der Gewerkschaft erfüllen ihren Auftrag aus der Rechtsschutzzusage, die Gewerkschaften ihren Mitgliedern gewähren. Sie werden nicht nach der anwaltlichen Vergütungsordnung bezahlt. Verlieren Sie in so einem Fall, macht Ihr Gegner deshalb keine (!) Kosten für seine gewerkschaftliche Vertretung geltend. Das kann ein paar tausend Euro billiger als die anwaltliche Vertretung sein – für den Verlierer.

In Berlin jedoch war eine Gewerkschaft richtig sauer.

Das kommt schon mal vor. Da gab es eine Reihe von Parallelverfahren, bei denen es um die gleiche Tariffrage ging. Mehrfach hatte das LAG gegen die Arbeitgeber entschieden, aber der wollte nicht hören. In einem weiteren anhängigen Berufungsverfahren platzte der Gewerkschaft der Kragen. Sie rieten ihrem klagenden Mitglied, der Gewerkschaft den Prozessauftrag zu kündigen. Statt dessen wurde – im laufenden Verfahren – ein Herr Rechtsanwalt P. als Bevollmächtigter beauftragt. Seine besondere Eigenschaft: Er war derselbe Gewerkschaftssekretär P., der schon bisher den Kläger vertreten hatte. Durch zwei Staatsexamina und einen Haftpflichtversicherung war er aber außerdem als Anwalt zugelassen.

Die Kalkulation war einfach: Für den uneinsichtigen Arbeitgeber sollte das Verlieren richtig teuer werden. P. als Anwalt kostet nach Maßgabe des RVG, P. als Gewerkschaftssekretär nichts.

Die Rechnung ging nicht auf.

Die Kostenkammer des LAG befand, so ein Pferdewechsel auf dasselbe Pferd (der betroffene Kollege/Sekretär verzeihe mir) sei nicht „zweckentsprechend“. Man habe eben keinen Anspruch darauf, die Gegenseite unter Kostendruck zu setzen. Hätte sich der Kläger mit Gewerkschaftssekretär P. gestritten, ihm das Mandat gekündigt und irgendeinen Anwalt beauftragt, kann man das anders sehen. Aber hier war der Missbrauch offensichtlich.

Die Gewerkschaft meinte

…es sei nicht hinnehmbar, dass die Beklagte die Erfüllung der Zahlungsansprüche ihrer Arbeitnehmer verzögere…und dabei kostenrechtlich vom gewerkschaftlichen Rechtsschutz profitiere.

Weil doch alles schon x-mal entscheiden sei.

Das LAG kommentierte das, wohltuend, wie wir denken, so:

Keine Partei hat einen Anspruch darauf, dass der Prozessgegner die Ergebnisse anderer Rechtsstreitigkeiten auf den eigenen Rechtsstreit überträgt; die Beklagte war vielmehr ohne weiteres berechtigt, auch die vorliegende gerichtliche Auseinandersetzung einer Entscheidung zuzuführen.

Ohne zusätzlichen Kostendruck. Auf die These vom profitierenden Klassengegner ist das Gericht nicht eingegangen.

Aber der Versuch hatte Charme…